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Kultur: Ein Lichtblick und zwei Kinder

Gerade erst Truffaut im Checkpoint.Immer noch Fassbinder im Lichtblick.

Gerade erst Truffaut im Checkpoint.Immer noch Fassbinder im Lichtblick.Und ab morgen Polanski im Nickelodeon.Die drei unterm Dach von Stattkino e.V.vereinten Projektionsanstalten geben dem Cineasten wahrlich Futter.Auf der herunterkurbelbaren Leinwand des Nickelodeon nun also nervenspannende Blicke in die Abgründe der Seele: In der ersten Woche laufen um 18 Uhr "Der Tod und das Mädchen", um 20 Uhr "Ekel", die Fallstudie über eine seelisch kranke Maniküre und um 22 Uhr "Der Mieter".Der Regisseur selbst spielt hier den schüchternen Angestellten, der unter einem Klima von Isolation und Wahnvorstellungen leidet.Es folgen "Chinatown", "Frantic", "Rosemaries Baby" und "Bitter Moon".

Seit einem halben Jahr erst befindet sich das Nickelodeon, das vorher vom Kulturamt Mitte betrieben wurde, in der Familie von Stattkino e.V.Noch jünger ist das zweite Kinokind namens Checkpoint.Die Kinder haben natürlich eine Mutter.Sie heißt Lichtblick und hat eine rotleuchtende Schrift im Schaufenster von undurchschaubarer Bescheidenheit.In der ehemaligen Metzgerei gibtÔs den Film für günstige sieben Mark.Wer sechsmal zahlt, darf beim siebten Besuch das Eintrittsgeld zu Hause lassen.Das vor vier Jahren gegründete Lichtblick ist nach einem Zwangsumzug seit Anfang 1998 in der Kastanienallee zu Hause.Der Saal ist ein längliches Sälchen mit dem Charme des Unvollkommenen.Grüne Quadratleuchten an der Wand.Ein Stuckrondell der vergilbten Art klebt an der Decke.Genau 32 rote Sessel.

Mutter Lichtblick und ihre Kinder haben sich ein kollektives Betreiberkonzept auf die Fahnen geschrieben.Alle Entscheidungen - bis zur Frage, ob man Eis verkaufen solle - werden in der Gruppe diskutiert.Im Lichtblick sind es elf, im Nickelodeon sieben Leute, die das Programm planen, Filme organisieren und an der Kasse stehen.Eingebettet sind die drei Kinos im Ende 1993 gegründeten Verein Stattkino, aber sie machen "ganz normales, gewerbliches Kino ohne Subventionen", so Torsten Frehse.Die Betreiber seien alle "im linken Spektrum" zu Hause.Aber Frehse stellt klar: "Wir sind kein Besetzerkino und wollen auch nicht bei einer bestimmten Szene Punkte sammeln, sondern alle Publikumsschichten erreichen."

Die jungen Kinobetreiber (Altersdurchschnitt Mitte 20) legen Wert auf Qualität.Schwarzkopien kommen überhaupt nicht in den Projektor.Über 80 Prozent der Filme sind 35 mm-Kopien.Das Programm besteht aus einer Mischung aus Dokumentarfilm und (Spiel-)Filmkunst, wobei das Herz für Retrospektiven zu schlagen scheint: Bunuel, Fellini, Antonioni waren in der letzten Zeit zu sehen.Ab und zu muß aber auch etwas anspruchsvoller Mainstream sein, denn ohne Publikum läuft schließlich auch ein Kollektivkino nicht.Während das Lichtblick etwas mehr zur Avantgarde neigt und sich dem politischen Dokumentarfilm widmet, setzt das Nickelodeon auf Literaturverfilmungen.Das Checkpoint, das sich noch in der Aufbauphase befindet und erst in Kürze als Kollektiv geführt wird, muß sein Profil noch finden.

"Wir wollen beweisen, daß alternative Ökonomie und kollektive Arbeit auch professionell und erfolgreich sein können", sagt Frehse.Und so ist man natürlich stolz darauf, mit dem Lichtblick bereits zweimal den mit 10 000 Mark dotierten Filmprogrammpreis des Innenministeriums erhalten zu haben.Was nur etwas Kopfschmerzen bereite, seien die niedrigen Eintrittspreise.Da befinde man sich in einem Konflikt."Jeder soll sich einen Film leisten können", sagt Frehse.Selbstausbeutung allerdings sei auf Dauer auch kein akzeptabler Zustand.Die Kinomacher hoffen, daß man bald nach Tarif zahlen kann; die Zuschauerzahlen steigen.Auch darin unterscheiden sie sich von vielen Programmkinos.

TOM HEITHOFF

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