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Kultur: Ein Mann auf dem Sprung

Ballett in Berlin: Das war lange Zeit eine traurige Geschichte. Doch mit Vladimir Malakhov hat die Staatsoper wieder einen Weltstar, der dem Tanz in der Hauptstadt Hoffnung macht

Von Sandra Luzina

Ein Sprung nur und ein schmachtender Blick – schon liegt man ihm zu Füßen. Sein erster Auftritt in „Die Bajadere“: eine Eroberung. Am Ende entschwebt der opiumberauschte Träumer mit seiner Tempeltänzerin in selige Gefilde. Wenn der Bühnentraum nach drei Stunden zu Ende ist, wartet ein beinharter Job auf ihn. Vladimir Malakhov ist der Mann, der die Berliner Ballettkrise beenden soll.

An der Aufgabe sind schon einige unrühmlich gescheitert. Die zermürbenden Diskussionen um eine Neustrukturierung der Ballettszene haben diverse Choreografen in die Flucht geschlagen. Und so mancher Künstler, als Glamour-Girl oder Superman angekündigt, brachte nicht das nötige Charisma und Können mit. Lange hat Berlin auf einen Prinzen gehofft, nun ist er da. Einer, dem selbst die New York Times bescheinigt, er sei der true prince. Nur gemerkt haben es noch nicht alle in Berlin.

Seit September 2002 leitet er das Ballett der Berliner Staatsoper – seine erste Festanstellung nach einem Nomadenleben. Der 35-jährige Malakhov ist einer der jüngsten Ballettdirektoren und wohl der berühmteste Tänzer der Gegenwart. Malakhov, da sind sich alle einig, setzt die Galerie russischer Koryphäen von Nijinsky über Nurejew und Baryschnikow fort. Das Ausnahmetalent aus dem ukrainischen Städtchen Krivoy Rog begann mit zehn Jahren seine Profiausbildung an der Moskauer Bolschoi-Ballettschule, mit 18 Jahren wurde er Solist beim Klassischen Ballett in Moskau. Als 23-Jähriger wechselte er in den Westen – zwischen Wien und Stuttgart, Tokio und New York ging sein Stern blitzschnell auf.

Malakhov, die Supernova. Er habe Russland nicht verlassen wegen der ökonomischen Situation oder aus politischen Gründen, hat er einmal klargestellt. Nein, er wollte Balanchine, Cranko, MacMillan tanzen und mit Robbins, Forsythe, Neumeier arbeiten. Mittlerweile wird er auch jenseits des Ballett-Lagers verehrt. Sogar Pina Bausch hat Malakhov zum Tanz-Fest 2004 eingeladen. Malakhov wünschte sich, dass Pina ihm ein Stück auf den Leib choreografiert, doch die möchte lieber was Klassisches sehen.

Die japanischen Fans, die ihm überallhin folgen, kommen mittlerweile auch an die Spree gereist. Doch Berlin war nicht so leicht zu erobern wie Wien oder New York, wo er nach wie vor seine Season mit dem American Ballet Theatre tanzt. An der Spree bekam er es nicht nur mit verzückten Ballettomanen zu tun, sondern mit zögernden Kulturpolitikern und zerstrittenen Opernintendanten.

Ein Jahr der harten Arbeit liegt hinter Malakhov und seiner Compagnie. Die ist deutlich verjüngt, hoch motiviert und in brillanter Laune. Im Ausland scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass diese Compagnie auferstanden ist wie Phönix aus der Asche. „Die Bajadere ist eines der besten Handlungsballette derzeit", findet Heinz Spoerli und präsentierte die Berliner Produktion zum Abschluss des Festivals „Basel tanzt".

Privat trägt Malakhov stets Schwarz. Doch auch in der Lederkluft seines Lieblingsdesigners Jean-Paul Gaultier sieht er nicht wie ein Draufgänger aus. Der schwebende Gang, die anmutige Haltung: Den Ballett-Prinzen kann er nicht verleugnen. Er bestellt eine Coca-Cola – seine Droge, wie er lächelnd gesteht. Gleich vier Jobs bewältigt Malakhov in Berlin: Er ist principal dancer, Chefchoreograf, Ballettdirektor und Pädagoge in einem. Andere hätten bei der Arbeitsbelastung schon etliche Nervenzusammenbrüche erlitten. Alles nur eine Frage der Balance, findet Malakhov.

Er lebt im Ballettsaal, dort vergisst er seinen Stress. Rechts außen steht er an der Stange, den begnadeten Körper in einen Wollanzug gehüllt. Auch nach einem kraftzehrenden Auftritt schwänzt er keine Trainingsstunde. Seine täglichen Exercises absolviert er mit konzentrierter Hingabe. Doch immer wieder fliegen Scherzworte durch den Raum – auf Russisch zumeist. Der ungarische Ballettmeister Herr Nemeti hat ein strenges Auge auf seine Tänzer. Er hat schon an der Wiener Staatsoper für Malakhov gearbeitet. Und ist ihm ohne zu zögern nach Berlin gefolgt. „Wenn Malakhov dich fragt, sagst du nicht Nein!“

Sechs Jahre musste das Ballett der Staatsoper ohne Ballettchef auskommen. „Ich will euch nicht umbringen“, hat Malakhov den Tänzern beim Antritt versichert. Er verlangt viel von seinen Tänzern, doch er versucht auch eine behutsame Förderung. Um die Tänzer nicht zu überlasten, tüftelt er die Stundenpläne genau aus. Viel versprechende Talente hat er neu engagiert, etwa die 19-jährige Polina Semionova von der St. Petersburger Schule, die er vom Fleck weg mit großen Partien betraute und die durch das Grönemeyer-Video „Demo“ auch bei der MTV-Generation bekannt wurde.

„Ich werde nie wütend, sage nie ein böses Wort“, betont Malakhov. Unduldsam wird er jedoch, wenn es einem Tänzer an Konzentration mangelt. Und unwirsch stimmen ihn die Grabenkämpfe in der Berliner Opernszene und die Versuche, ihn zu gängeln. Malakhov zündet sich eine Zigarette an. Der Stress in letzter Zeit war zu groß, sagt er fast entschuldigend.

Froh ist er, mal ein paar Tage aus Berlin rauszukommen. Zeigen sich nach einem Jahr schon Fluchtreflexe? Er ist der große Hoffnungsträger, wird als der Retter des Berliner Balletts gehandelt – und weiß das auch. „Ich bin bereit, diesen Job zu machen“, bekräftigt er. Doch er lässt durchblicken, dass er dabei nicht gewillt ist, sich zum Spielball konkurrierender Machtinteressen machen zu lassen.

Inzwischen ist es bestätigt: Vladimir Malakhov wird künstlerischer Leiter der selbstständigen Ballett GmbH, eine der Säulen der künftigen Opern-Stiftung. Doch der Intendant der Staatsoper, Peter Mussbach, will das Ballett partout nicht in die Autonomie entlassen. Malakhov sei mit der Aufgabe überfordert, ließ er bei der letzten Sitzung des Kulturausschusses wissen – da war der Star gerade zu einem Gastauftritt nach Finnland gereist. Nach Mussbachs Willen soll die künftige 88-köpfige Compagnie unter dem Dach der Staatsoper bleiben.

„Er liebt seine Tänzer, und sie lieben ihn“, sagt sein Manager und Lebensgefährte Juri, der als harter Verhandlungsführer bekannt ist. Er habe immer noch das Apartment in New York, erzählt Juri. Und mit Blick auf die Berliner Machtkämpfe stellt er fest: „Vladimir steht immer noch die Welt offen.“ Das klingt fast wie ein Ultimatum. Berlin sollte alles tun, um diesen Ausnahmekünstler zu halten.

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