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Kultur: „Ein Mick Jagger steckt auch in mir“

Popstars, sagt Randy Newman, sind als zornige junge Männer am besten. Mit seinem „Songbook“blickt er auf 40 Jahre in der Branche zurück

Mister Newman, Sie feiern im November Ihren 60. Geburtstag. Ist es für einen Popstar besonders schwer, alt zu werden?

Vielleicht. Aber ich kann nur von mir sprechen: Ich mag das Älterwerden nicht.

Warum?

Ich kann einfach nichts Gutes daran finden. Man wird tagtäglich mit dem eigenen Verfall konfrontiert: Es wird schwerer, aus dem Sessel hochzukommen, und statt zu joggen geht man bloß noch spazieren.

In Deutschland gibt es gerade eine Generationsdebatte: Die Jungen werfen den Alten vor, auf ihre Kosten zu leben. Es gab noch nie so viele Luxusrentner wie heute. Eigentlich müsste es doch ganz angenehm sein, in solchen Zeiten alt zu werden.

Altwerden ist per se unangenehm, vor allem in einer Zeit des Jugendkults. Für mein vorletztes Album „Bad Love“ habe ich den Song „Shame“ geschrieben, in dem ich über einen Sugar Daddy spotte, der ein junges Mädchen zu verführen versucht. Du kannst Millionen haben, eine tolle Wohnung und ein noch so dickes Auto, und dann kommt eine Neunzehnjährige, die dich alten sechzigjährigen Sack auslacht und alles zerstört. Man kann immer nur die Simulation von Jugend kaufen, nie die Jugend selbst.

Es gibt auch einen zynischschönen Song über alternde Rockstars von Ihnen, in dem Sie singen: „I’m dead / But I don’t know it“ (Ich bin tot / Aber ich weiß es nicht). Dachten Sie etwa an Mick Jagger, als Sie den Song schrieben?

Nein. Ein Mick Jagger steckt auch in mir, der ist in jedem von uns, der auf die Bühne geht und weiter macht. Wir haben doch alle gesagt: Ich höre mit 30 auf, dann bin ich zu alt für die Rockmusik. Als wir 30 waren, haben wir gesagt: Mit 40 ist aber garantiert Schluss. Aber alle machen weiter. Moody Blues machen weiter, Elton John macht weiter, Deep Purple machen weiter. Warum auch nicht? Viele Altstars sind erfolgreicher als der Nachwuchs. Es gibt niemanden, der dir auf die Schulter klopft und sagt: Deine Zeit ist vorbei, lass es sein. Niemand sagt dir, dass du schlecht bist, also macht du noch ein Album, noch eine Tour. Du hast nichts mehr zu sagen, aber du sagst es trotzdem. Von einigen Ausnahmen abgesehen ist Rock’n’Roll eine Sache, bei der die Leute in ihren frühen Jahren am besten sind. Mir fällt nicht mal eine Handvoll Popmusiker ein, die mit den Jahren immer besser wurden.

Wer denn?

Neil Young hat sich gut gehalten.

Bob Dylan?

Macht immer noch gute Platten, war aber früher besser.

Van Morrison?

Hat eine tolle Stimme. Aber meine These gilt nur für das Popsong-Schreiben, nicht fürs Singen. Es gibt viele großartige alte Sänger, aber kaum Komponisten. Paul McCartney hat seine besten Songs vor über dreißig Jahren geschrieben, weiß es aber nicht und arbeitet umso härter an neuen Platten.

Für Ihr neues Album „Songbook“ haben Sie einige Ihrer schönsten Songs noch einmal so aufgenommen, wie sie entstanden: Sie spielen Klavier und singen dazu. Sind Sie jetzt in dem Alter, darüber nachzudenken, welche Songs von Ihnen am Ende übrig bleiben?

Als ich die Songs aufnahm, habe ich gescherzt: Sie hätten Jimi Hendrix lieber sagen sollen, dass er tot ist, als ständig neue Compilations seiner Greatest Hits zu veröffentlichen. Letzlich gibt es für die Veröffentlichung des „Songbooks“ vor allem einen Grund: meine schlechte Arbeitsmoral.

Waren Sie zu faul, neue Songs zu schreiben?

Ich bin alles andere als ein Vielschreiber. Ich habe in 35 Jahren ganze 13 Alben produziert. Das ist nicht genug. Ich hätte mindestens fünf Platten mehr machen müssen. Meine Faulheit deprimiert mich.

Gibt es denn Songs aus Ihrer Karriere, für die Sie sich heute schämen?

Songs, die nicht funktionieren, werfe ich weg, bevor ich ins Studio gehe. Beim Schreiben bin ich immer sehr kritisch mir selbst gegenüber, das ist vielleicht mein größtes Problem. Meine Unzufriedenheit blockiert mich oft. Aber es gibt nicht viel, was ich bereue. Ich habe mal einen Song für Paul Simon komponiert, „The Blues“, in dem ich über Musiker spotte, denen ein Stück nach dem anderen einfällt, ohne dass sie sich dafür anstrengen müssen. Mir geht es ganz anders, für mich ist jeder Song Knochenarbeit. Der Text von „The Blues“ handelt von meinem Neid, darum ist er mir heute etwas peinlich.

Ein missratener Song in vierzig Jahren: keine schlechte Bilanz.

Auf meinem ersten Album gibt es ein Stück, in dem ich singe (singt): „And The Big Boy Comes Tomorrow“. Das ist mir heute unangenehm, Gott einen „großen Jungen“ genannt zu haben. Nicht aus irgendwelchen spirituellen Gründen, sondern einfach weil es eine schlechte Metapher ist. Ich wünschte, diese beiden Wörter wären nicht da, und denke schon seit Jahren darüber nach, wie ich sie ersetzen könnte. Statt neue Songs zu schreiben grübel ich, wie ich meine alten verbessern kann. Eine seltsame Obsession.

Sie entstammen einer Musikerdynastie. Ihr Vater war Arzt, arbeitete aber nebenbei für Benny Goodman und Bing Crosby. Seine Brüder Alfred, Lionel und Emil stiegen zu legendären Filmkomponisten auf. Sie müssen als Kind permanent von Musik umgeben gewesen sein.

Mehr vom dem Reden über Musik als von der Musik selbst. Mein Vater liebte Musik, hat aber zu Hause fast nie gespielt. Mit Musik konfrontiert wurde ich bei den Besuchen in Hollywood, wo meine Onkel an ihren Filmen arbeiteten. Auf einer Leinwand lief „All About Eve“, „Dr. Doolittle“ oder einer von den Marilyn-Monroe-Filmen, und das Orchester spielte dazu die Musik ein. Die Orchester bestanden mitunter aus hundert Musikern, das war ein Sound wie von den Berliner Philharmonikern. Manchmal waren auch Deborah Kerr oder Yul Brunner da, um für ein Musical ihren Part zu singen. Ich war sehr stolz, solche Onkel zu haben.

Und Ihnen wurde schnell klar, dass Sie Musiker werden müssen?

Das habe ich nie aktiv entschieden, ich wurde einfach in diese Karriere hineingestoßen. Ich habe nie davon geträumt, Platten aufzunehmen oder einen Oscar zu gewinnen. Was ich aber immer wollte, war die Anerkennung von Leuten, die sich mit Musik auskennen. Das mag snobistisch klingen, aber ein Lob von einem wirklichen Kenner war mir immer wichtiger als 100000 verkaufte Platten.

Sie haben mal gesagt, Sie könnten über alles einen Song schreiben, sogar über den Tisch, an dem Sie gerade sitzen. Warum brauchen Sie dann trotzdem so lange für ein neues Album?

Ich habe in den frühen Sechzigerjahren als Auftragskomponist bei verschiedenen Plattenfirmen gearbeitet und Songs für Alan Price, Carole King oder Gene Pitney geschrieben. Seither weiß ich, wie man zu einem vorgegebenen Thema den passenden Song fabriziert. Aber Songs ohne Auftrag zu schreiben, ist viel schwerer. Man fängt bei Null an. Es gibt Tage und Wochen, die ich mit Schreiben und Probieren verbringe und am Ende stehe ich ohne eine einzige brauchbare Zeile da. Filmsongs schreibe ich dagegen sehr schnell, da ist ja von Anfang an klar, wovon sie handeln sollen. Erzählen Sie mir etwas über den Typen, der diesen Tisch gebaut hat, aus welcher Stadt er stammt und mit welcher Frau er zusammenlebt, und ich schreibe Ihnen problemlos einen brauchbaren Song.

Sie spielen Musik, die seit vierzig Jahren konsequent altmodisch klingt, Ihr Song „My Country“ beginnt mit der Zeile „Let’s go back to yesterday“ (Lass uns ins Gestern zurückkehren). Sind Sie ein hemmungsloser Nostalgiker?

Nein. Ich träume nicht davon, in den Dreißigern zu leben. Aber ich interessiere mich für Geschichte und ich liebe Boogie Woogie, Ragtime und die Oldtime-Country-Music eines George Jones oder Hank Williams. Nur Swing ist nicht so mein Fall. Ich benutze alle Stile, die existieren. Sogar Heavy Metal, da gibt es tolle Sachen. Die harmonischen Muster von Megadeath gefallen mir sehr gut. Eminem ist ein großer Künstler, er hat etwas zu sagen. Kürzlich spielten mir meine Kinder diesen englischen Rapper vor, der sich „The Streets“ nennt. Von dem gibt es einen sehr witzigen Song, in dem sich ein Fußballhooligan und ein Computerfreak übers Pot-Rauchen streiten. Respekt!

Sie waren 16 Mal für einen Oscar nominiert, ein einsamer Rekord. Hatten Sie die Hoffnung schon aufgegeben, als Sie 2002 den Oscar dann doch noch für den Song „If I Didn’t Have you“ aus „Die Monster AG“ bekamen?

Ich hatte wirklich nicht mehr damit gerechnet, einen Oscar zu kriegen. Man gibt sich abgebrüht, wenn man bei 16 Nominierungen leer ausgegangen ist: Ach, eigentlich ist so eine blöde Statue doch überhaupt nicht wichtig. Aber als dann bei der Verleihung sich der ganze Saal von seinen Plätzen erhob und mir zujubelte, war ich verdammt gerührt. Und natürlich fühlte ich mich meinen Onkeln verbunden, die in ihrer Laufbahn zusammen zehn Oscars bekommen haben.

Wird es wieder elf Jahre dauern, bis ein neues Studioalbum von Ihnen erscheint?

Nein. Mein Ziel ist es, in den nächsten zehn Jahren mindestens drei neue Alben herauszubringen. Ich bin ja jetzt in einem Alter, wo ich mir Faulheit nicht mehr leisten kann.

Das Gespräch führte Christian Schröder

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