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Kultur: Ein organisierter Chaot

Der Regisseur Pedro AlmodóvarVON CHRISTINA TILMANNVon einem Regisseur, der sich als "leidenschaftlichen Geschichtenerzähler" charakterisiert, wird man in Interviews viele, gute Geschichten erwarten.Erst recht, wenn er wie Pedro Almodóvar Inbegriff alles Bunten, Poppigen, Frechen, Provokativen im spanischen Kino ist.

Der Regisseur Pedro AlmodóvarVON CHRISTINA TILMANNVon einem Regisseur, der sich als "leidenschaftlichen Geschichtenerzähler" charakterisiert, wird man in Interviews viele, gute Geschichten erwarten.Erst recht, wenn er wie Pedro Almodóvar Inbegriff alles Bunten, Poppigen, Frechen, Provokativen im spanischen Kino ist.Nicht nur, weil seine Plots geschickt mit Themen wie Geschlechterverwirrung, Promiskuität und Drogen spielen.Auch weil seine Filme verwirrende Kaleidoskope sind, wo je jeder mit jedem und jede mit jeder ...Der Filmkritiker Frédéric Strauss, Mitarbeiter der "Cahiers du Cinéma", hat sich zum Almodóvar-Spezialisten berufen, um das Labyrinth mit Leidenschaft zu entwirren.Seit 1992 hat er den Regisseur immer wieder bei Dreharbeiten besucht.Seine Interviews sind nun in Anlehnung an Truffauts Hitchcock-Buch nach Filmen geordnet erschienen, von den ersten Super-8-Filmen bis hin zu "Live Flesh".Strauss ist darin ein ernsthafter Filmjournalist mit französischer Lust an Klassifizierung - die Frage, welchem Genre der Film angehört, wird von ihm in jedem Kapitel ebenso ausgiebig wie erfolglos diskutiert -, und er ist ein sentimentaler Zuschauer, der persönliche Berührtheit zum Qualitätskriterium für seine Filmbewertung macht.Eins aber ist er nicht: ein Exzentriker, der an Almodóvars Tabubrüchen und Grenzverletzungen Freude hätte.Im Gegenteil: Psychologische Deutungen entlockt er nur selten dem unwilligen Regisseur: "Ich weiß nicht, ob das zum Verständnis des Filmes dient" ist Almodóvars Dauerantwort auf jede ins Persönlich-Biographische zielende Frage.So sammelt der Leser aus den Interviews etwas mühsam die biographischen Brocken: Über Almodóvars Vergangenheit als Sänger an der Seite des Transvestiten Fanny McNamarra, über seine einsame Kindheit in der Provinz und seine Anfänge als Super-8-Filmer in der Untergrundbewegung "Movida".Und sucht vergebens nach jenem aufsässig-schrillen Ton zwischen Kitsch und Künstlichkeit, der seine Filme so unverwechselbar macht.Ergiebiger sind die Blicke auf die Schauspieler: etwa wenn er über den ehemaligen Theaterkomparsen Antonio Banderas spricht, den er entdeckte und sich inzwischen nicht mehr leisten kann.Oder über Carmen Maura, mit der er so eng zusammenarbeitete, daß es zu einer schmerzhaften Trennung kam.Oder über seinen Bruder, Produzent und erster Leser seiner Drehbücher.Almodóvar ist ein organisierter Chaot: Während er beim Dreh die Story immer wieder verändert, arbeitet er im Geiste schon am nächsten Film.Das führt auch in den Interviews zu ständigen Sprüngen.Anreiz genug, die Filme noch einmal neu zu sehen, um dort mehr Almódovar zu finden als in jedem Interview.Einen eher alltäglichen Menschen, der eine Reihe ungewöhnlich genialer Filme gedreht hat.Besser so als anders herum. Pedro Almodóvar, Filmen am Rande des Nervenzusammenbruchs.Ein Gespräch mit Frédéric Strauss.Verlag der Autoren, Berlin 1998.246 Seiten.38 Mark.

CHRISTINA TILMANN

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