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Kultur: Ein Riss geht um die Welt

Die Akademie der Künste redet über „Tannhäuser“

Ein Berliner „Tannhäuser“-Konzil im Blick auf die Bayreuther Festspiele, wo Sebastian Baumgarten den Sängerkrieg auf der Wartburg diesen Sommer inszenieren wird, veranstaltet von der Akademie der Künste, subventioniert von der Deutschen Bank – was für eine blendende Idee! Einmal nicht in Resultaten denken und zwangsläufig retrospektiv, einmal leibhaftig teilhaben am Prozess: Wie wird Kunst zur Kunst? Eine Frage, die Richard Wagner sich in seinem Oeuvre geradezu manisch stellt, immer wieder. Kein Ritter Lohengrin, kein Fliegender Holländer oder Minnesänger Tannhäuser, der nicht auch Künstler wäre, Spiegel, Alter ego.

Venusberg kontra Wartburg, hier das Dionysische, da das Apollinische: Wagner selbst, heißt es, hätte ein solches Konzil gerne abgehalten, wozu es allerdings nie kam. Und sicher hatte das auch sein Gutes. Wer die Akademie am Sonntagabend nach vier Stunden wieder verließ, fragte sich jedenfalls, wie eine derart geballte Macht des Wortes jemals in Musik respektive Musiktheater zu übersetzen sei. Erst die volksbühnenlaunige Verlesung des (gekürzten) „Tannhäuser“-Librettos mit Bernhard Schütz in der Titelpartie, Kathrin Angerer als Venus und Thomas Langhoff als Landgraf von Thüringen, danach Statements und Diskussion: Sebastian Baumgarten betont wohl, dass es neben allem Überbaulichen auch eine mit dem Dirigenten Thomas Hengelbrock erarbeitete Analyse der Partitur gäbe. Die unter den dramaturgischen Fittichen von Carl Hegemann versammelte Podiums-Gelehrigkeit indes zeigt sich davon nicht sonderlich beeindruckt.

Für den Theaterwissenschaftler Clemens Risi etwa sind „Emotionen“ das Movens der Oper überhaupt und Dolf Sternbergers Begriff der „Schmerzbegierde“ eine treffliche „Tannhäuser“-Sonde. Der Philosoph Christoph Menke wiederum sieht in Tannhäuser den tragischen Helden, der sich selbst ins Aus katapultiert. Und der Theologe Johannes Hoff schwelgt umstandskrämerisch in „Doppelmoppel-Welten“, die jede konkrete Erklärung schuldig bleiben, vor allem die des grünenden Pilgerstabs am Ende. Ein totes Stück Holz, das ausschlägt: Zeichen eines typisch Wagnerschen Frauenopfers? Kirchenkritik? Nietzsche, Kierkegaard, Lacan, es mangelt nicht an potenten Paten für diese oder jene These.

Und die Künstler, die es ab 6. Juni auf dem Grünen Hügel machen müssen? Während sich Nina von Mechow für die Kostüme bescheiden gibt, nutzt Bühnenbildner Joep van Lieshout das Podium, um eines seiner jüngeren Projekte vorzustellen, eine Art ökonomisch-ökologisches Utopia, „Slave City“, welches unter anderem eine funktionierende Biogasanlage hervorgebracht hat. Was das mit Wagner zu tun hat? Wir werden es in Bayreuth erfahren, wo das Konzil im August fortgesetzt werden soll. Bis dahin halten wir uns tapfer an Baumgartens Urvertrauen in die gute alte Dialektik. Ob Eros oder Agape, Wartburg oder Venusberg: „Die Tatsache der Differenz ist interessant. Die Wahrheit des ,Tannhäuser’ ist die Exposition des Risses.“ Christine Lemke-Matwey

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