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Kultur: Ein Schloss für viele Schlüssel

Land ohne Grenzen: Das Schlesische Museum in Görlitz erzählt von Verlust und Versöhnung

Eine Flaschenpost, die lange gegen den Strom getrieben ist. Am 15. Juli 1940 versenkten der Buchdrucker Hugo Gröger und gleich gesinnte Freunde im schlesischen Ober-Hannsdorf bei Glatz unter den Dielen seines Hauses folgende Botschaft: „Frankreich ist besiegt, geht es jetzt nach dem Osten? Wir wollen Frieden und Freiheit! (...) Das heutige Diktatur u. Kriegsregiment Hitlers schreit gegen (den) Himmel u. wir beten um Erlösung.“

Vor drei Jahren entdeckte der heutige polnische Besitzer des Hauses den Zettel bei der Erneuerung seines Wohnzimmerfußbodens. Die verwischten Sütterlin-Zeilen gehören nun zu den besonders herausgehobenen Ausstellungsstücken des Schlesischen Museums in Görlitz. Mitte Mai wurde es feierlich eröffnet. Mit Hilfe der Museumsmitarbeiter konnte der Kontakt zwischen den Enkeln der Grögers und den polnischen Bewohnern des Hauses hergestellt werden.

Die neue Dauerausstellung informiert nicht nur über tausend Jahre Herrschafts-, Kultur- und Regionalgeschichte Schlesiens; sie bietet auch individuellen Erfahrungen und Geschichten anhand solcher Erinnerungsstücke Raum. Und das konsequent zweisprachig: Das Schlesische Museum vermittelt bis in die Objektbeschriftung hinein ein differenziertes Geschichtsbild in deutscher und polnischer Sprache. Für beide Länder ein Novum.

Träger der 1996 gegründeten Museumsstiftung ist neben dem Bund, dem Freistaat Sachsen und der Stadt Görlitz die Landsmannschaft Schlesien. Herbert Hupka, ihr Ehrenvorsitzender, hat seit den siebziger Jahren vehement ein zentrales schlesisches Landesmuseum gefordert: als exklusive Erinnerungs- und Wiedergutmachungsstätte der 3,2 Millionen deutschstämmigen Vertriebenen.

Erst die Wiedervereinigung brachte Görlitz, das zwischen 1815 und 1945 zur preußischen Provinz Schlesien gehörte, als Standort ins Spiel – und führte zu einem wohltuenden Perspektivwechsel. Görlitz pflegt seit einigen Jahren seine unmittelbare Nachbarschaft zu Polen. Gemeinsam mit der polnischen Stadthälfte Zgorzelec bewarb sich die deutsche Teilstadt als europäische Kulturhauptstadt 2010. Knapp unterlag man vor wenigen Wochen dem Favoriten Essen.

Doch die Eröffnungsfeier des Schlesischen Museums geriet trotz guten Willens zur peinlichen Lektion in Sachen deutsch-polnischer Empfindlichkeiten. Noch einmal durfte der hochbetagte Hupka seine Sicht auf die verlorene Heimat darlegen. Zu den Ehrengästen gehörte auch Rudi Pawelka. Hupkas Nachfolger als Vorsitzender der Landsmannschaft sitzt im Stiftungsrat des Museums. In Polen ist Pawelka persona non grata: weil er als Aufsichtsratsvorsitzender der Preußischen Treuhand ehemals deutsches Eigentum in Polen zurückfordert.

Solchen Ausfällen mit diplomatischem Geschick zu begegnen, oblag dem ehemaligen polnischen Generalkonservator Andrzej Tomaszewski. Der Kenner der schlesischen Kunstgeschichte war als Festredner geladen – immerhin eine profunde Stimme aus Polen, die zu Wort kam. Im wissenschaftlichen Beirat sitzt mit dem Germanisten Edward Bialek ein weiterer polnischer Spezialist. Das Schlesische Museum, bedauert Markus Bauer, der 1999 berufene Gründungsdirektor, „wurde lange als rein deutsches Projekt verstanden. Ich persönlich finde die nationalstaatliche Verengung unpassend.“

Die Ausstellung gibt ihm Recht: Schlesien, das vom polnischen Fürstengeschlecht der Piasten, dem böhmischen König, den Habsburgern, Preußen, Deutschen und seit der Westverschiebung Polens 1945 wieder vom polnischen Staat regiert worden ist, taugt nicht für nationale Vereinnahmungen. Das vom Bund und dem Freistaat Sachsen zu gleichen Teilen finanzierte Museum erzählt die wechselvolle Geschichte der Provinz folgerichtig als Grenzland der Kulturen, Sprachen und politischen Machtansprüche. Mit Sinn für Verbindendes, ohne die Katastrophen zu beschönigen. Mit Rhythmusgefühl, Überblick und dem Mut zur Pointe, die man so auch den Ausstellungsmachern am Deutschen Historischen Museum in Berlin für ihre gerade eröffnete Dauerausstellung gewünscht hätte. Wie man die großen historischen Zusammenhänge mit den kleinen privaten Erfahrungen zusammenbringt, aus denen sich Geschichte zusammensetzt, wird in Görlitz vorbildlich vorgeführt – und das, ohne die Komplexität des Themas zu verraten. In den ersten vier Wochen kamen denn auch schon über 10 000 Besucher.

Das schönste Ausstellungsstück in Görlitz ist allerdings das Museumsgebäude selbst. Der zentral am Untermarkt gelegene Schönhof, für 13,4 Millionen Euro aufwändig saniert, gehört zu den ältesten bürgerlichen Renaissancegebäuden Deutschlands. Der von HG Merz nobel gestaltete Ausstellungsparcours verstellt sein verschachteltes Innenleben nicht – und lässt den Blick über Wandmalereien und bemalte Holzbalkendecken des 16. und 17. Jahrhunderts schweifen.

Unter ihnen entfaltet sich auf 2000 Quadratmetern ein Geschichtspanorama, das sich von den naturräumlichen Konstanten Oder und Riesengebirge über das multiethnische und mehrkonfessionelle Barockzeitalter bis zum bitteren Ende von Vertreibung und Neuansiedlung nach 1945 spannt. Eine der letzten Vitrinen zeigt Schlüsselbunde, die vertriebene Schlesier jahrzehntelang in der Hoffnung auf baldige Rückkehr gehütet haben. In Görlitz haben sie endlich ihren Frieden gefunden.

Schlesisches Museum zu Görlitz, Brüderstraße 8. Katalog (Verlag Janos Stekovics) 15 Euro.

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