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Kultur: Ein Schwieriger

Der streitbare Zeitgenosse Stefan Heym wird morgen 85VON MARKO MARTINPeinliche Eloge oder dumpfe Schmähung - auch im Falle Stefan Heyms scheint sich die öffentliche Meinung in diesem Lande nur in falschen Eindeutigkeiten artikulieren zu können.Unvergessen etwa die unsouveräne Haltung der Unionsparteien angesichts eines Alterspräsidenten Heym, der als PDS-Kandidat in den Bundestag eingezogen war.

Der streitbare Zeitgenosse Stefan Heym wird morgen 85VON MARKO MARTINPeinliche Eloge oder dumpfe Schmähung - auch im Falle Stefan Heyms scheint sich die öffentliche Meinung in diesem Lande nur in falschen Eindeutigkeiten artikulieren zu können.Unvergessen etwa die unsouveräne Haltung der Unionsparteien angesichts eines Alterspräsidenten Heym, der als PDS-Kandidat in den Bundestag eingezogen war.Stockkonservative, die in ihrem Leben noch keine einzige Zeile des am 10.April 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz geborenen Schriftstellers gelesen hatten, gerierten sich plötzlich als Gralshüter der demokratischen Kultur.Ebenso unfair gegenüber der komplexen Heymschen Biographie verhalten sich allerdings jene westöstlichen Anbiederungs-Apostel, die rhetorisch leerlaufenden Starrsinn offenbar für eine besondere Art der Zivilcourage halten. Stefan Heym, der Verfasser ebenso hervorragender Romane wie fragwürdiger tagesaktueller Artikel, hat diese Peinlichkeiten nicht verdient.Wer 1933 von der Schule fliegt, weil er ein pazifistisches Gedicht veröffentlichte, wer im Jahr darauf als jüdischer Antifaschist in die Tschechoslowakei emigrieren muß, sich danach in die Vereinigten Staaten durchschlägt, 1944 an der Landung in der Normandie teilnimmt und 1945 als Offizier in der Abteilung für psychologische Kriegsführung der US-Army nach Deutschland zurückkehrt und 1950 als Protest gegen den Korea-Krieg alle ihm verliehenen militärischen Auszeichnungen an Präsident Eisenhower zurückschickt - der ist alles andere als ein Opportunist.Bereits 1942 hatte Heym seinen ersten Roman geschrieben: "Der Fall Glasenapp", die spannende Schilderung eines Geiseldramas im nazibesetzten Prag.In Ost wie in West aber wurde er mit "The Crusaders", den "Kreuzfahrten von heute" berühmt, ein noch immer lesenswerter Wälzer über den Zweiten Weltkrieg. Für die DDR entschied sich Stefan Heym aus Überzeugung.Dann kam 1965 das berüchtigte 11.Plenum der SED.Wieder kann man fragen: War Heym, der damals öffentlich Abgestrafte, ein Widerständler oder nur ein Taktiker, der jeden Kontakt mit Robert Havemann abbrach, sich erst 1976 mit der Unterzeichnung der Biermann-Petition wieder aus dem Fenster lehnte, aber auch in den Jahren danach jede Hilfe für die unabhängige Menschenrechts- und Friedensbewegung in der DDR vermied? Jenseits der Verurteilungen und Beschönigungen aber existieren seine Bücher, der Roman "Collin" etwa, in dem ein "tapferfeiger Intellektueller" (Biermann) mit den eigenen Erinnerungen ringt und sich als moralisch stärker erweist als der Stasi-Büttel Urach.Der Widerstand des Einzelnen gegen die Macht - er findet sich auch im "König David Bericht", Stefan Heyms großartigstem Werk.Wer wirklich etwas über diesen alten Menschheitskonflikt erfahren will, sollte dieses Buch lesen.

MARKO MARTIN

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