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Kultur: Ein Teufel von der traurigen Gestalt träumt die Liebe

Wie viele T-Shirts haben Sie? "One T-Shirt for the Life" - mit dieser radikalen Forderung tritt Jérôme Bel an.

Von Sandra Luzina

Wie viele T-Shirts haben Sie? "One T-Shirt for the Life" - mit dieser radikalen Forderung tritt Jérôme Bel an.In schönster Inkonsequenz veranstaltet der Pariser eine Shirt-Show, in der er dem Publikum seine beachtliche Kollektion vorführte.Bel hat gleich die dazu passende Wissenschaft ins Leben gerufen: Shirtologie.Wie sich kulturelle Einflüsse in den Körper einschreiben, demonstriert der gewitzte Franzose in einer ungewöhnlichen One-Man-Auszieh-Schau: unter jedem Hemd, das er sich über den Kopf zieht, kommt ein weiteres Hemd zum Vorschein.Der Körper ist hier nurmehr Zeichenträger und Werbefläche, ein unbeschriebenes Blatt.Als Person tritt Bel weitgehend hinter den visuellen Codes und Reklamebotschaften zurück, die seinen Torso übersäen.Fröhliches Entziffern ist für das Publikum angesagt.Der Performer ist nicht selbst Produzent dieser Zeichen, unabhängig von seinem Aussehen wird dieser Körper immer neu überschrieben.Aus diesen Widersprüchen weiß Bel immens komische Effekte zu gewinnen, etwa wenn ihn die Shirts erst feminisieren ("Girl", "Best Girl", "Elle") und dann eine pinkfarbene Marylin von seiner Brust prangt."Shirtologie" begeistert durch sein kluges, dabei genial schlichtes Konzept, der schüchtern dreinblickende Jérôme Bel erweist sich als begnadeter Komiker.

Fünf Solo-Produktionen versammelt der Abend im Podewil, sämtliche Spielarten der Performance werden hier vorgeführt.Annamirl van der Pluijm zeigt in "The Other Me" die zwei Gesichter einer Frau.Die Gesten der Tänzerin mit dem Gesicht einer Renaissance-Schönheit sind von ritueller Langsamkeit.Straff bindet sie sich die Haare zurück.Zwei Bücher auf dem Kopf balancierend, riskiert sie einen Tanz.Jede Regung wird zum heiklen Balance-Akt.Auf die totale Kontrolle folgt der Ausbruch: die Tänzerin läßt den Körper schwingen, zieht sich an den Haaren, am eigenen Schopf empor.Das Gefangen-Sein in kulturellen Bildern wird hier behutsam und mit feiner Ironie in Szene gesetzt.Als Dokumentar-Junkie outet sich Bénoît Lachambre in "Délire Défait".Reden kann er nur, wenn sein eigenes Abbild über den Monitor flimmert, selbst dann entringt sich ihm nur ein unzusammenhängendes Gestammel.Der mediale Overkill erzeugt neue Formen des Schwachsinns, hier tritt der Videot und Info-Sklave uns in ebenso lächerlicher wie jämmerlicher Gestalt entgegen.Russell Maliphant aus London zeigt in "Shift" Bewegung als Raumkunst.Der geschmeidige Tänzer schiebt sich in permanentem Positions- und Richtungswechsel durch den Raum, der Körper vollführt ein schönes Linienspiel mit stetigen Verschiebungen.Bewegung wird auf sehr klare Weise zerlegt und aufgefächert.Zugleich ist "Shift" ein raffiniertes Spiel mit dem eigenen Schatten, der sich vervielfältigt und mit dem der Performer am Ende wieder verschmilzt.Mark Tompkins gibt einen hinreißenden Bühnen-Teufel ab mit blinkenden Hörnern und seidigen Boxer-Shorts.In "Icons" gelingt ihm eine beeindruckende Hommage an Valeska Gert.In den alten Songs wird hemmungslos der Tanz- und Liebeslust gehuldigt; statt dieses Rauschs zeigt Tompkins nun den Katzenjammer.Sein unstillbares Verlangen findet nur noch in grotesken Tänzen seinen Ausdruck.Ein Teufel von der traurigen Gestalt träumt da von der Liebe.Fast möchte man Mitleid mit ihm haben, da stimmt der Teufelskerl ein diabolisches Gelächter an.Fröhliche Wissenschaft, mephistophelische Ironie, galoppierender Irrwitz: all das bot dieser gelungene Abend.Fünf auf einen Streich, ein lohnender Coup.

"Take 5" läuft noch einmal heute abend: um 21 Uhr im Podewil

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