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Kultur: Ein Tonic Water mit Dem Tenor Andreas Scholl

SCHOLL : Also, wenn ich auf Tournee bin, trinke ich nie Alkohol.TAGESSPIEGEL : Wegen der Stimme?

SCHOLL : Also, wenn ich auf Tournee bin, trinke ich nie Alkohol.

TAGESSPIEGEL : Wegen der Stimme?

SCHOLL : Klar, das zieht zuviel Wasser.Genau wie Sauna.Das macht sich in der Stimme noch zwei Tage später bemerkbar.Oder wie Heizungsluft.Als Sänger muß man auf diese ganzen Umstände Rücksicht nehmen.Und außerdem sind wir sowieso alle Hypochonder.

TAGESSPIEGEL : Sie sind ein Countertenor, das heißt, Sie singen mit Falsettstimme.Merken Sie, daß das Publikum immer noch irritiert reagiert?

SCHOLL : Lachen tut mittlerweile kaum noch jemand.Obwohl ich in vielen Konzertreihen auftrete, in denen die Leute Alte Musik gar nicht gewohnt sind und sonst nur ihren Schubert, Schumann, Brahms vorgesetzt bekommen.Aber ich will nicht nur in der Spezialisten-Szene auftreten.

TAGESSPIEGEL : Welches Publikum wollen Sie erreichen?

SCHOLL : Ich habe schon Pop-Musik gemacht, lange bevor das mit der Barockmusik losging.Mit 17 hatte ich schon meinen ersten Synthesizer, und inzwischen habe ich mir ein ganzes Tonstudio zusammengekauft.Vor zehn Jahren habe ich sogar mit einem Freund zwei Singles herausgebracht, auf denen ich auch schon als Counter gesungen habe.Wir hießen "Generation" und dann später "Key Zero" und haben so eine Art Italo-Disco-Musik gemacht, wie sie in den Achtzigern modern war.Leider sind beide Singles ziemlich gefloppt.

TAGESSPIEGEL : Aber jetzt starten Sie trotzdem einen neuen Versuch?

SCHOLL : Ja, und zwar erneut mit richtiger Pop-Musik und nicht irgendwelchem "goes classic"-Zeug nach Helmut-Lotti-Muster, wo klassische Stücke in ganz simple Schemata hineingepreßt werden und die Leute dann auch noch annehmen, es handele sich um Klassik.

TAGESSPIEGEL : Also keine Händel-Coverversionen?

SCHOLL : Da müßte ich schon eine ganz geniale Idee haben.Ich habe zuviel Respekt vor den Komponisten - ich mache das ja nicht wegen des Spektakels.Die Musik wird allerdings Barockelemente enthalten, aber statt mich an den Arien anderer zu vergreifen, habe ich ein paar eigene im Pseudo-Barock-Stil geschrieben.

TAGESSPIEGEL : Und was sagen die Hardliner der Alten Musik dazu?

SCHOLL : Schon "Die drei Countertenöre" war ja eher eine Spaß-CD.Da mögen manche sauer sein, aber das sind sie ja vielleicht nur, weil sie selber nicht dabei waren.

TAGESSPIEGEL : Glauben Sie, mit Counter-Pop auch ein neues Publikum für Klassik zu gewinnen?

SCHOLL : Manchmal frage ich mich: Wer wird in 30 Jahren noch Bachs h-moll-Messe hören und etwas damit anfangen können? Ich denke, um auch jüngere Leute für Klassik zu interessieren, braucht es den Zugang über eine Person.Allein um die Hemmschwelle abzubauen.Denn im Prinzip sind die Leute ja offen.Als ich im letzten Jahr mit meiner Frau Urlaub in einem Club Med gemacht habe, wurde da eine Art Grand Prix Wettbewerb ausgetragen.Die suchten noch jemanden für Italien, und da hat mich der Manager gefragt, weil er gehört hatte, daß ich singe.Ich habe Händels "Ombra mai fu" a cappella gesungen und war vorher so nervös wie nie.Aber es kam toll an - ich habe sogar gewonnen.

Andreas SCHOLL singt morgen im Kammermusiksaal.Das Gespräch führte Jörg Königsdorf

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