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Kultur: Ein Tropfen Öl

Der Frieden und die Wissenschaften: Auszüge aus der Dankrede von Wolf Lepenies

Wolf Lepenies hat sich vor allem in Mittel- und Osteuropa sowie im Nahen Osten um die Gründung wissenschaftlicher Institutionen verdient gemacht. „1989 begann ein Lernabenteuer“, erinnert er sich. „In Bukarest gaben die Gegenwart der Orthodoxie und das Erbe Ostroms dem Nachdenken über die Rolle der Religion in der Moderne eine neue Sicht; in Sankt Petersburg erfuhren wir, dass Griechisch und Latein keine toten Sprachen gewesen waren, sondern dass sie ein lebendiges Medium der Kommunikation gebildet hatten, in dem auch unter einem kommunistischen Regime der freiheitliche europäische Geist überwintern konnte. Auf den ersten Blick altmodisch anmutende Formen der Gelehrsamkeit hatten geistige Energien gespeichert, die halfen, den politischen Wandel zu beschleunigen.“

Die Ernüchterung folgte vier Jahre später: „Der Triumph des Marktkapitalismus, der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats schien nicht länger unausweichlich. Mitten in Europa herrschte wieder Krieg. Auf dem Balkan tobten Konflikte, die sich mit dem Namen ,Islam’ verbanden. Hoffnung kam aus dem Nahen Osten. In Washington reichten sich die späteren Friedensnobelpreisträger Jitzhak Rabin, Yassir Arafat und Schimon Peres die Hände.“

Die Verschiebung der Interessen mündete in das Forschungsprojekt „Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa“. „Zusammen mit Yehuda Elkana förderten wir in Jerusalem eine Gruppe junger Israelis, Palästinenser und Deutscher. Sie fragten nach Traditionen der europäischen Aufklärung, die in den Ländern des Nahen Ostens wirksam geblieben waren. Es handelte sich um keine Friedensmission; es ging – wie wissenschaftliche Arbeit es erfordert – um geregelten Streit. Juden und Araber verließen die rhetorischen Barrikaden, hinter denen sie sich in der Regel verschanzten. Wir hatten geplant, den Mittelpunkt des Projekts von Israel in die Palästinensergebiete, von Jerusalem nach Ramallah zu verlagern. Dazu kam es nicht mehr; der Friedensprozess brach im Herbst 2000 mit der zweiten Intifada ab, das Projekt fand ein Ende.“

Auch das konnte Wolf Lepenies nicht entmutigen. In diesen Tagen nimmt in den Ruinen von Beirut eine Sommeruniversität das Projekt wieder auf, im Wissen, dass Terror und Gewalt die Zäsuren setzen – und im Bewusstsein, dass Frieden und Wissenschaft „keine natürlichen Alliierten“ sind. Die Wissenschaft, so Lepenies, kann „der Tropfen Öl sein, der schreckliche ,frictionen’ mildert; oft aber wirkt sie wie Öl, das man ins Feuer gießt. Die Orientwissenschaften sind dafür ein Beispiel. Bismarck nannte die orientalische Frage ein Gebiet, auf welchem die Deutschen ihren Freunden nutzen und ihren Gegnern schaden könnten.“

Lepenies warnt davor, den Nutzen einer Disziplin wie der Islamwissenschaft für die „Gegnerforschung“ zu überschätzen: „Wenn wir glauben, die Ursachen des Terrors einzig in den ,Kulturideologien fremder Völker’ finden zu können, sind wir längst Kombattanten im ,Krieg der Kulturen’, den die Fundamentalisten herbeibomben wollen. Dagegen können wir aber auch nicht das treuherzige Wunschbild einer ,Koalition der Kulturen’ setzen. Was wir dagegensetzen müssen, ist zunächst die historische Einsicht in die engen Verflechtungen des Westens mit der islamischen Welt.“

Daraus ergeben sich auch für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union Konsequenzen: „Darf man daran erinnern, dass Europa das antike Erbe auch durch die Vermittlung der arabisch-islamischen Kultur empfangen hat? Können wir die Aufklärung noch länger als westliches Unikat beanspruchen, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass sie ihre jüdisch-arabischen Wurzeln hatte? Gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union sprechen schwerwiegende Gründe: die Missachtung der Menschenrechte, der fehlende Minderheitenschutz, das drohende demographische Ungleichgewicht, die Gefahr einer Funktionsunfähigkeit der europäischen Institutionen. Gegen die Aufnahme der Türkei spricht nicht, dass damit das christliche Europa seine Seele verlöre. Europa – darin lag seine Stärke – hatte nie eine reine Seele. Ebenso wenig aber kann der Islam ,Reinheit’ für sich beanspruchen – wie es die türkischen Gegner eines EU-Beitritts ihres Landes tun, die Europa als „Christenclub“ beschimpfen.“

Von da aus zum Ruf nach akademischer Vermittlung der Positionen war es für Lepenies nur noch ein Schritt: „Für Länder und Kulturen mit Milliarden-Bevölkerungen sind an den deutschen Universitäten die sogenannten ,kleinen Fächer’ zuständig. Für die aberwitzigen Kürzungen, die wir unseren Bildungseinrichtungen zumuten, sind sie freilich immer noch groß genug. Gleichzeitig verschwinden Wissensbestände, die einst zum deutschen Bildungskanon gehörten: Während laut über eine christliche Reconquista des von muslimischen Immigranten bedrohten Europa nachgedacht wird, verabschiedet sich aus unseren Hochschulen in aller Stille die Wissenschaft vom Christlichen Orient.“ Und: „Lange Zeit wurden die Geisteswissenschaften marginalisiert. Ihre chronische Unterförderung beruhte auch auf ihrer Unterforderung.“ dotz

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