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Kultur: Ein wilder Milder

Bildungsbürger, Vollblutjournalist und rarer Entertainer: Hellmuth Karasek zum 75.

Bei Bären, das wissen selbst Berliner nicht immer, bei Bären ist ihr Gemütszustand nie am Gesichtsausdruck ablesbar. Auch wer Hellmuth Karasek begegnet, sollte wissen, dass seine zunächst an einen grimmig-traurigen Waschbären erinnernde Miene – vor allem als Zuhörer von Redaktionskonferenzen – nur zu gerne täuscht. Allenfalls ein Sekundenfunkeln in dem soeben noch melancholisch verhangenen Blick verrät, dass er im nächsten Moment mit baritonaler Vehemenz aus der seelischen Grübeltiefe ausbricht und aufbricht zum allerhellsten Witz, zu einem Bonmot (oder Kalauer), zu bildungssprühenden Pointen. Hier erhält das Wort vom Geistesblitz, das ja doch einen dunkleren Hintergrund voraussetzt, seine wahre Bedeutung.

Der gerade 80 gewordene Joachim Kaiser hatte heute vor fünf Jahren, als sein Kollege Karasek 70 wurde, ihm zum Geburtstag im Tagesspiegel bescheinigt, dass dieser als Kritiker selbst beim Tadeln einen „sozusagen leidend vergnügten Eifer“ zeige. So kann man Karaseks zwischen Sarkasmus und Lebensliebe zwitternde Ambivalenzen auch ausdrücken. Beckett, der einmal gesagt hat, „im Anfang war der Kalauer“, wäre literarisch ein wenig zu hoch gegriffen. Aber seit Buster Keaton und Karl Valentin hat kaum jemand seinem unerschöpflichen Humor eine so seriös-stoische Maske aufgesetzt wie Karasek – bis zum Moment der mit leidenschaftlich vergnügtem Eifer betriebenen Demaskierung.

Ach, und apropos hoch gegriffen. Heute schreibt Hellmuth Karasek, nach seiner glanzvollen Karriere als Literatur-, Theater- und Filmkritiker, als Feuilletonist und Feuilletonchef bei der „Stuttgarter Zeitung“, bei der „Zeit“, beim „Spiegel“ und zuletzt als Mitherausgeber des Tagesspiegels, nach Theaterdramaturgien, nach drei Komödien, vielen Büchern über Brecht, Sternheim und Max Frisch, über Handys, Billy Wilder, die frühe Bundesrepublik und das späte Älterwerden, nach zwei Romanen und den Jahren als Marcel Reich-Ranickis gleichranginger Adjutant im „Literarischen Quartett“ – nach all dem schreibt er heute seine Glossen für die „Berliner Morgenpost“ und gastiert als unterhaltsam gelehrter Professor in TV-Quizshows. Auch ist er bisweilen Gegenstand der Boulevardberichterstattung.

Das nennen manch’ Neidische oder Hochmütige einen Abstieg. Tatsächlich geht Karasek auf einem in Deutschland seltenen, nicht selten rutschglatten Weg: geradeaus. Und mittendurch zwischen dem Allzuernsten und Allerdöfsten, zwischen High und Low, zwischen E- und U-Kultur. Der im heute tschechischen, einst noch kakanisch-habsburgerisch geprägten Brünn geborene Bildungsbürger, Vollblutjournalist, Champagnerliebhaber, Honorarprofessor und Medienprominente gehört zu der im deutschen Kulturbetrieb nur zu raren Spezies der geistvollen Entertainer. Einer seiner Lieblingsschriftsteller ist der österreichische Schwermutskomiker Johann Nestroy. Doch noch viel näher müsste er einem der Journaille dahingegebenen (und den Frauen nicht bloß literarisch zugetanen) Oscar Wilde sein . Sein Wilde war eben Billy Wilder.

Hier aber halt! Denn das soll ja zum 75. keine Preisrede und auch kein Nachruf zu Lebzeiten sein. Sondern ein Zwischenruf. Ein Geburtstagsgruß, ad multos annos!

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