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Kultur: Ein Zirkuszelt für Deutschland

Der Trägergesellschaft sitzt die Angst vor dem wirtschaftlichen Scheitern im Nacken. Der deutsche Pavillon wird ein 262 Millionen Mark teurer KompromissKlaus-Dieter Weiss Berlin, das Wilhelm II.

Der Trägergesellschaft sitzt die Angst vor dem wirtschaftlichen Scheitern im Nacken. Der deutsche Pavillon wird ein 262 Millionen Mark teurer KompromissKlaus-Dieter Weiss

Berlin, das Wilhelm II. noch zu einem deutschen Paris machen wollte, sollte schon Ende des 19. Jahrhunderts Schauplatz der ersten deutschen Weltausstellung werden, auf Drängen von Kaufleuten und Industriellen. Der Kaiser vereitelte diesen Plan, weil er den Vergleich mit Paris noch scheute.

Ein Jahrhundert später quält die Verantwortung der Primaballerina unter den deutschen Städten ausgerechnet Hannover. Wieder sind Kaufleute und Industrielle die treibenden Kräfte. Als Bühne des Spektakels für die erhofften 40 Millionen Besucher 1988 in einer Sektlaune von Birgit Breuel geborenen Idee, Berlin die Show zu stehlen, dient der erweiterte Messe-Standort Hannover.

Während sich der oberste Sachwalter unserer Kultur, Staatsminister Michael Naumann, auf eine "große Gesellschaftsausstellung" freut: "eine einmalige ästhetische Selbstkonzentration des ganzen Landes", trommeln die Kaufleute schon eine ganz andere Melodie: "Kaufen Sie ein Stück Weltausstellung. Jetzt!", heißt es in großen Anzeigen. Im "Expo Park Hannover" locken "hochwertig erschlossene Gewerbegrundstücke mit exklusiven Nationenpavillons": ideale Verkehrsanbindung, direkter Zugang zum bedeutendsten Messeplatz der Welt, Großveranstaltungen in der Preussag-Arena. Die Arena ist der zentrale Veranstaltungsort der Expo mit bis zu 14 000 Plätzen.

Nach dem 31. Oktober soll aus dem Expo-Gelände ein Gewerbe- und Freizeitpark werden, dessen Mischung allein vom Zufall regiert wird. Vielleicht werden einige Pavillons zu Autohäusern mutieren? Frei nach dem Motto, das schon Jürgen Trittin für die Expo vorgeschlagen haben soll: Auto-Motor-Sport? Nein, diese Show wird pünktlich zur Expo in Wolfsburg eröffnet. Mit seinem Kompetenz- und Erlebniszentrum "Autostadt" lenkt der Volkswagenkonzern einen Teil des Expo-Ansturms clever nach Wolfsburg um. Als Lockvogel dient ein alter VW-Käfer im deutschen Pavillon: das Identität stiftende zentrale Objekt Niedersachsens.

Kaufleute allüberall? Nur der französische Pavillon steht nicht zum Verkauf. Der Sportartikel-Hersteller Decathlon, der hier nach der Expo seine Kassen klingeln läßt, griff schon zu, als nur ein Bauherr gesucht wurde. Die flache Kubatur des von Françoise-Hélène Jourda gestylten Supermarkts neben deutschem Pavillon und Expo-Plaza überrascht darum nicht. So banal sind Warentempel am Stadtrand immer zugeschnitten. Im Inneren wird eine Waldatmosphäre zelebriert. Später eine willkommene Kulisse, um Jogging-Schuhe zu verkaufen.

Wie intelligent werden sich demgegenüber die Schweizer von der Expo verabschieden. Sie bauen ein Labyrinth aus Holzstapeln, wie sie zum Trocknen der frischen Bretter in Holzlagern stets aufgeschichtet werden. Formal und konstruktiv wird das traditionelle Motiv von einem gewitzten, vielfach ausgezeichneten Peter Zumthor natürlich viel kunstvoller umgesetzt. Zwischen den Stapeln ist Raum für Lichtungen mit Gastronomie, für Kunst und Kultur der Schweiz. Nach Ende der Expo werden die Bretter verkauft. Dann sind sie trocken und können andernorts auf Dauer verbaut werden. Die Japaner recyclen ihren Pavillon aus Papier zu Schulheften und Küchenpapier.

Für den Deutschen Pavillon zwischen der Preussag-Arena des Architekten Helmut Sprenger aus Hannover und dem Sportgeschäft der Franzosen bietet Deutschland als Stararchitekten Josef Wund von der Wund Industriebau GmbH Friedrichshafen auf. Mehr Investor und Bauherr als Architekt, baut Wund die 120-Millionen-Mark-Immobilie auf eigene Rechnung und ist damit auch für die Reanimation des Pavillons nach der Expo verantwortlich. In Gesprächen mit Bill Gates und Rita Süssmuth, so Wund, kämpft die Firma zur Zeit um Nachnutzung. Nicht zuletzt davon hängt ihr betriebswirtschaftlicher Gewinn ab.

Festpreis garantiert

Kann unter diesen Voraussetzungen eine Architektur entstehen, die eine relevante kulturelle Position bezieht, die - in den Worten Naumanns - zur "Projektionsfläche unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses" wird? An den Kosten des finnischen Pavillons ist der Staat zu 75 Prozent beteiligt. Die Trägergesellschaft Deutscher Pavillon GmbH, die ihren Etat von insgesamt 262 Millionen Mark mit Hilfe von Bund (54), Ländern (27) und der Industrie (19) bestreitet, zahlt auch. Aber den Gesellschaftern geht es nicht um Architektur, sie spielen nicht einmal den Bauherrn. Dem architekturfernen Gremium saß allein die Angst im Nacken, wirtschaftlich zu straucheln. Insofern ist man mit dem Architekten hochzufrieden, denn er garantiert den Festpreis und ist als einziger auf den wirtschaftlichen Erfolg nach der Expo angewiesen.

Im Theoriestreit der Architekten war die Stimme von Josef Wund noch nicht zu hören. Seine architektonischen Anknüpfungspunkte reichen vom antiken Griechenland über die Transparenz der Münchner Olympiabauten bis zu Renzo Pianos Bauten am Potsdamer Platz. Behende belegt er anhand von Fotos, wie in Berlin Transparenz unter stählernen Korsettstangen erstickt, wie licht und klar dagegen der deutsche Pavillon sein Innenleben offenbart. Ein verkanntes Genie?

Josef Wund will mit seinem Gebäude bezeugen, "wie modern, nach vorne gewandt, wie offen und transparent sich dieses Land auf der Weltausstellung präsentieren will." Das Symbol dafür sind die konkav nach innen gebogenen Glasfassaden, für Michael Naumann "wunderbar geblähte Segel". Kritiker schmähten das "aufgeblasene Autohaus im Gewerbepark" von Anfang an. Kurz nach Baubeginn Ende Oktober 1998 waren die Pläne noch euphorisch, die Computer-Simulationen fern jeder Realität. Eine materielose Glasfassade sollte sich nicht nur rahmenlos selbst tragen, sie sollte vielmehr als Last abtragendes Element des Bauwerks fungieren. Das zwei Fußballfelder große Dach sollte auf 25 Meter hohen Glasstützen ruhen, belastet mit 300 Tonnen, dem Gewicht eines vollgetankten Jumbo-Jets.

Inzwischen sind die Felder der nach innen wehenden spiegelnden Glasvorhänge, die sich lediglich selbst tragen, gerahmt. Die viel beschworene Transparenz reduziert sich auf die komplizierten Gebäudeecken, die nur mit großer Mühe geschlossen werden können. Durch die Wölbung kommt es bei Sonnenschein zu unangenehmen Blendeffekten. Der deutsche Pavillon ist nicht mehr als eine Messehalle an prominentem Standort. Im Gegenteil: Auf dem Messegelände gibt es mit der Halle 9 des Hamburger Architekten von Gerkan (gmp) viel ausdruckstärkere Großräume.

Architektonisch stellt sich die Nation nicht nur mit ihrem Pavillon, sondern auch mit der Preussag-Arena samt den die Expo-Plaza rahmenden banalen Büroriegeln von Determann und Martienssen ein Armutszeugnis aus. Wurde über die städtebauliche Leitidee für das Herzstück der Expo noch in einem Wettstreit der Meinungen entschieden, zeigt die bauliche Umsetzung, welch geringen kulturellen Stellenwert unsere Gesellschaft der Architektur beimisst. Im städtebaulichen Wettbewerb brillierten die international renommierten Hamburger Architekten von Gerkan und Marg mit einem Entwurf, der schon vor vier Jahren für die einzelnen Gebäude mehr versprach, als jetzt von architektonischen Nobodies aus Friedrichshafen und Hannover gehalten wird.

Um zu diesem beschämenden Ergebnis zu kommen, war ein Verfahren notwendig, das die Großen der Architektur von vornherein ausschloss. Der Architekten-Wettbewerb für den Deutschen Pavillon wurde ausgeschrieben, als noch niemand wusste, was darin stattfinden soll. Als der Zweck des Gebäudes erkennbar wurde, musste das Verfahren wiederholt werden. Die Resonanz unter den Architekten war entsprechend verhalten. Der in beiden Wettbewerben siegreiche junge Stuttgarter Architekt Florian Nagler pochte bis ins Detail auf seine Gestaltungshoheit - in den Augen der Gesellschafter des Pavillons ein unkalkulierbares Risiko.

Blankes Entsetzen machte unter den Gesellschaftern die Runde, als Nagler einsichtig genug war hinzuwerfen, aber die Nutzung seines bereits baurechtlich genehmigten Entwurfs juristisch untersagte. Das war die große Stunde des Nothelfers Josef Wund, der längst in den Kulissen bereit stand. Mit dem Bau der Messehalle 25, eigentlich ein Projekt der Architekten Michele Arnaboldi und Raffaele Cavadini, hatte sich die Feuerwehr aus Friedrichshafen bereits blendend eingeführt. Jetzt kam die Glanznummer: Der Ersatz-Entwurf für den Deutschen Pavillon wurde in 30 Tagen aus dem Boden gestampft. Nicht einmal ein Prozent der zehnjährigen Vorbereitungszeit für die Expo wurde in das Nachdenken über die Architektur des Deutschen Pavillons investiert. Zu verheimlichen ist das leider nicht, egal was darin stattfindet.Heute (19.2.) Tag der Offenen Tür im Deutschen Pavillon, 11 - 16:30 Uhr, Treffpunkt halbstündlich, Endhaltestelle "EXPO/Ost".

EXPO Architektur Dokumente. Verlag Hatje Cantz, Stuttgart 2000, 104 S., br. 29,80 DM.

Klaus-Dieter Weiss

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