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Kultur: Eine Ansichtskarte vom Mond

Erbstreit: Dem Stadtmuseum wird der Nachlass einer deutsch-jüdischen Familie vermacht

Wer kennt sie nicht, die kindliche Lust, auf dem Dachboden nach Relikten der Vergangenheit zu stöbern? Nichts anderes tut der Historiker, wenn er in Nachlässen Quellen aufspürt, sichtet, bearbeitet. Einen Nachlass ganz besonderer Güte erhielt im Dezember 2000 die Stiftung Stadtmuseum Berlin (SSMB) geschenkt. Nach dem Willen der Erben soll der über zweieinhalb Jahrhunderte sich erstreckende Schicksalsweg der deutsch-jüdischen Familien Beer, Meyerbeerund Richter künftig in Deutschlands größtem Stadtmuseum erzählt werden.

Die Hans-und-Luise-Richter-Stiftung ist benannt nach einem Enkel des Komponisten Giacomo Meyerbeer und dessen zweiter Frau, einer „Arierin“. Um die Briefe, Kunstwerke, Erinnerungsstücke ihrer Familie über die Nazizeit zu retten, haben die Richters seinerzeit viel riskiert. In den teils spektakulären, teils unscheinbaren Objekten steckt auch ihre Überlieferungsgeschichte: eine Geschichte von Nonkonformität, Assimilation, Ausgrenzung, die weit über den am Stadtmuseum gepflegten Berlinbezug hinausweist.

Giacomo Meyerbeer ist das prominenteste Familienmitglied. Doch die Beers, deren Ansiedlung an der Spree 1671 begann (gemeinsam mit 49 aus Wien vertriebenen jüdischen Familien), zogen über Generationen bedeutende Künstler und Intellektuelle an. Mehr noch als bei den Rothschilds aus Frankfurt oder den Oppenheims in Köln bildeten ihre Bank- und sonstigen Geschäfte zwar die Grundlage beachtlichen Wohlstands, wurden jedoch nie zum Fixpunkt ihres Selbstverständnisses. Die Familie stieg nicht in die Wirtschafts-, sondern in die Bildungselite des bürgerlichen Berlin auf. Hatte noch Jacob Herz Beer (1769–1825) mit schnöder Zuckersiederei ein Vermögen gemacht, so überwog bei dessen Kindern bereits das Interesse für Kunst und Wissenschaft. Wilhelm Beer, der die väterlichen Zucker-Geschäfte weiterführte, veröffentlichte 1834 eine viel beachtete Mondkarte, die „Mappa selenographica“. Michael Beer trat als Dramatiker hervor. Und der Tonkünstler Giacomo Meyerbeer, in Paris vergöttert, von Friedrich Wilhelm IV. zum Preußischen Generalmusikdirektor ernannt, war einer der ersten Opernstars des 19. Jahrhunderts.

Die elegante Taschenuhr des Komponisten, Marke Breguet, kostete stolze 2700 Francs: eines der persönlichsten Nachlass- Objekte – ein Lieblingsstück des Kunsthistorikers Sven Kuhrau, der sich mit der Koordinierung der ab März 2004 geplanten Präsentation des Nachlasses in einer Ausstellung und mit dem wissenschaftlichen Verzeichnis aller Objekte beschäftigt. 119000 Euro bewilligte die Lottostiftung für die Katalogisierung: Die Ausstellung selbst muss aus knappen Museumsmitteln finanziert werden.

Eine Herausforderung: Das Gros des Materials besteht aus beschriebenem oder bedrucktem Papier – Flachware nennen das Museumsleute ein wenig abschätzig. Außerdem Familienporträts, ein Toravorhang, Meyerbeers Reiseklavier, Nippes, Mobiliar. Wie stellt man damit die religiöse, intellektuelle, gesellschaftliche Kultur solch einer Familie dar? Aus der Sprödigkeit des Materials muss die Ausstellung, so Kuhrau, eine konzeptionelle Tugend machen. In der Großen Halle des Märkischen Museums soll eine zentrale Installation mehr auf Art und Umfang des Konvoluts als auf die Bedeutung einzelner Stücke aufmerksam machen. Verknüpft wird dieses ideelle Zentralgestirn mit thematischen Satelliten im ganzen Haus. Das erstklassige Porträt Amalie Beers von Johann Carl Kretschmar etwa könnte, zunächst temporär, die Präsentation zur Berliner Salonkultur um 1800 bereichern.

Ungefähr so muss sich Reiner Güntzer, der noch amtierende SSMB-Generaldirektor, sein „integratives Konzept“ vorgestellt haben, das er Mitte der Neunzigerjahre für die damalige Jüdische Abteilung eines Berlin Museums im Libeskind-Bau entwickeln ließ. Mit dem Trennungskrach und der autonomen Gründung des Jüdischen Museums (JMB) verlor Güntzer nicht nur Renommee, sondern auch Objekte, um jüdische Berlingeschichte angemessen ausstellen zu können. „Kein Triumphgeschrei“ war denn auch seine Direktive, als sich Elisabeth Beare und Reinhold Becker – zwei Enkel Hans Richters – dazu entschlossen, ihr Erbe als unselbständige Stiftung ans Stadtmuseum zu geben. Zuvor hatten sie ihren Schatz dem Jüdischen Museum angeboten. Aber 1998 „war unser Ausstellungskonzept noch im Fluss“, bedauert die JMB-Sammlungsleiterin Inka Bertz: „Die Stiftung war an sehr konkrete Auflagen der Ausstellungspräsentation gebunden, die wir damals nicht zusichern konnten.“

Im zweiten Anlauf fühlen sich sowohl die Stifter wie auch das Stadtmuseum zum Happy End verpflichtet. „Ich finde es schrecklich, wenn man so eine Nachlass-Stiftung einrichtet und dann immer noch persönlich hineinregiert“, sagt Elisabeth Beare. Auch die SSMB, deren Fusion mit der Berlinischen Galerie immer wieder diskutiert worden ist, braucht den Erfolg. Unbedingt.

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