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Kultur: Eine Filmreihe im Berliner Central geht der Frage nach, wie das Denken aussehen kann

Warum gehen wir ins Kino? Um an sonnenhellen Tagen Menschen zu begegnen, die im Leben nicht viel anderes vorhaben als - zu denken?

Warum gehen wir ins Kino? Um an sonnenhellen Tagen Menschen zu begegnen, die im Leben nicht viel anderes vorhaben als - zu denken? Und darüber reden sie dann. Man nennt Personen mit solch eigentümlichem Tagesablauf - denken und reden, reden und denken - Philosophen. Es ist wunderbar!, ruft Ulrich Boehm, der Mentor der Reihe "Philosophie im Kino", stellen Sie sich das mal vor, Gadamer auf der großen Leinwand!

Nun gut, im letzten Jahr hatte er noch Zweifel. Es war Mai wie jetzt, - ist im Mai nicht alle Philosophie draußen? - es wurde sehr heiß, und das "Central" neben den Hackeschen Höfen bot fast zwei Wochen lang um 15.00 Uhr und um 17.00 Uhr je einen Philosophen.

Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Klar, dass sich jeder mal für solche Dinge interessiert, aber ist "Was darf ich hoffen?" nicht eine typische Winterfrage? Sowas muß Ulrich Boehm, der Philosophie-Redakteur des WDR wohl gefürchtet haben. Aber dann kamen am ersten Wochenende dreihundert Leute, hundert musste er wieder wegschicken. Und alle wollten dasselbe wissen wie Kant: Was darf ich hoffen ...?

Dass es bei solchen Fragen mit den Antworten etwas schwieriger ist, erkennt man daran, dass die Philosophie schon ziemlich lange dauert. Fast 3000 Jahre. Und wir empfangen solch zweifelhafte Zwischenbescheide wie "Ich weiß, dass ich nichts weiß!". Nun also der Wiederholungsfall. Gadamer auf der großen Leinwand. Heute erzählt er die Geschichte der Philosophie, auch die Episode vom wissenden Unwissenden, Sokrates, der die Philosophie vom Himmel in die Straßen Athens trug (Cicero). Wieder im "Central". Allein für Gadamer, dieses übergroße, alte Gesicht, hätte man die Reihe erfinden müssen. Wenn wir den Satz "Die Grenzen der Seele wirst du nicht erreichen, so weit du auch wanderst!" schon nicht von Heraklit selber hören können, dann doch immerhin von Gadamer.

Frühere Kulturen hatten ihre Weisen. Eine Gesellschaft ohne richtige Weise galt als Humbug. Natürlich müssen Weise sehr alt sein. Gadamer ist jetzt 100. Das reicht. Wir haben fast keine Weisen mehr, obwohl wir immer älter werden. Denn wir schicken schon alle vorher in Pension. Aber da gibt es noch eine zweite Schwierigkeit. Weise sind nicht einfach Wissens-Ingenieure, sondern Wissende ganz besonderer Art. Habermas zum Beispiel hat bestimmt kein Talent zum Weisen, auch wenn er 120 wird. Denn Habermas besitzt ein System, ein ausgeklügeltes Know-How. Das heißt, dass nicht so sehr Habermas von der Wirklichkeit lernen will, sondern die Wirklichkeit soll von Habermas das Know how lernen. Ein Habermas-Porträt hat Ulrich Boehm auch. Es heißt "Einladung zum Diskurs" (Sonntag). Zu einem Diskurs kann man nicht alles mitnehmen, was man zu sagen hat, sondern nur das Diskursfähige. Richtige Weise finden das eher langweilig. Sie wollen das, was hinter den Diskursen ist, ihre Voraussetzungen.

Den Berliner Philosophen Rüdiger Safranski interessieren die großen Verstehenden. Gadamer, Heidegger, Nietzsche. Nun ist es natürlich nicht einfach, die Verstehenden zu verstehen. Zum Beispiel den Heidegger-Satz: "Das Denken ist zugleich das Denken des Seins, insofern das Sein, dem Denken gehörend, auf das Sein hört." Deshalb hat Safranski über alle drei einen Film gemacht. Wir fahren mit ihm nach Röcken, Naumburg, Weimar, all die Nietzsche-Orte ("Verwechselt mich nicht! Auf Nietzsches Spuren in Thüringen und Sachsen", 28.Mai) oder eben nach Meßkirch, wo Heidegger das "Seyn", die "Lichtung" und noch mehr Sachen fand, die einem nicht alle Tage begegnen ("Der Zauberer von Meßkirch" 28.Mai). Nicht alle Meßkirchner haben Heidegger gelesen. Was sie nicht davon abbringen konnte, einen Heidegger-Marsch für Blaskapelle zu komponieren.

Dass es bald einen Sloterdijk-Marsch für Blaskapelle gibt, muss als eher unwahrscheinlich gelten, obwohl Sloterdijk wirklich viel Heidegger gelesen hat. Die von Habermas im letzten Jahr inkriminierte "Menschenpark"-Rede war im Grunde eine stille Heidegger-Interpretation über die Eigenschaft des Menschen als "Hüter des Seins" und die Frage, ob alle guten Hirten, Jesus ausgenommen, nicht zugleich auch Züchter waren (29. Mai).

Der ästhetisch interessanteste Film ist wohl Dieter Thomäs "Abenteuer der Freiheit", ein Versuch über den Menschen - also einen, der auszog, das Fürchten zu verlernen - für Animationstechnik mit Ulrich Wildgruber in der Hauptrolle. Hans Blumenberg ("Zwischen Himmel und Höhle", 26.Mai) schließlich kann uns sogar erklären, warum wir mitten im Mai zu "Philosophie im Kino" gehen. Weil der Mensch ein Höhlenbewohner ist. Das Kino ist die Fortsetzung der Höhle mit anderen Mitteln. Eine Kulturhöhle.18. bis 31. Mai im Central, jeweils 15.00 Uhr und 17.00 Uhr; meist mit Autoren und Gästen!

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