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Kultur: Eine Frage der Schere

Die Münchner Opernfestspiele spielen Brittens „Rape of Lucretia“ – und wissen nicht, warum

Frauen, die Spinnräder treten und Leintücher zusammenfalten, Männer, die sich aufs Brustfell trommeln oder schmatzend aus der Flasche trinken, ein schneewittchenweißes Ehelager für die Schändung und für den Selbstmord ein Bühnenblumenmeer: Eigentlich war die Idee gar nicht so schlecht (wenn nicht gar die einzig mögliche!), Benjamin Brittens spröde aus jeder Zeit und aus jeder Ästhetik fallende Vergewaltigungs-Oper „The Rape of Lucretia“ bei den Münchner Opernfestspielen von einer Frau inszenieren zu lassen. Und vielleicht hat Deborah Warner ja sogar Recht, wenn sie die Dinge so zeigt, wie sie sind, nämlich klischeebeladen und unverrückbar in ihren Zuschreibungen von Macht und Ohnmacht. Allein, wollen wir sehen, was wir schon immer wussten? Und dann gleich so hemmungslos naiv?

Weder emotional noch intellektuell gab dieser Abend irgendetwas her – was im Blick auf Brittens emphatische, hoch gebildete, in ihren Bronzetönen traumwandlerisch schön instrumentierte Moritaten- Musik schier an ein Wunder grenzt. Ivor Bolton und das Bayerische Staatsorchester trifft hier keine Schuld: Sie entledigten sich ihrer Aufgabe in quasi solistischer Besetzung höchst nobel, fühlten sich den Anklängen an Bach und Schubert ebenso verpflichtet wie dem Echo der Entstehungszeit, dem Nachhall des Grauens. Szenische Langeweile indes war schon immer eine schlechte Provokation.

Was hätte man aus diesem verklemmten Anti-Kriegs-Musiktheater, dieser verquasten Huldigung ans Leiden Christi (Uraufführung 1946 in Glyndebourne) nicht alles machen können, ja machen müssen, um die Stückwahl je zu legitimieren! Welche Abgründe, welch glitzernde Ritzen hielte jene Melange aus Antikenrezeption, Oratorium, epischem Theater und sprichwörtlichem „Leben am Rand der Tragödie“ nicht bereit! Doch Warner und ihrem Bühnenbildner Tom Pye geht es auf nahezu leerer Prinzregententheaterbühne einzig um hübsch ausgeleuchtete Bilderfolgen und darum, dass die Sänger (Sarah Connolly, anrührend, in der Titelpartie, Christopher Maltman als böser Prince Tarquinius, Alan Held als gehörnter Collatinus) artig das nachstellen, was die beiden Erzähler ihnen textlich abverlangen (weiße Hemden, schwarze Hosen, Hände in den Taschen: Ian Bostridge und Susan Bullock).

Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Keuschheitsprobe gipfelt in einem gepflegten Bettstatt-Gerangel, und kurz darauf erlöst sich die bedauernswerte Lucretia mit einer Gartenschere von ihrem Leiden. Was Frau eben so zur Hand hat. Das allerletzte Wort aber gebührt den Erzählern: „Is it all?“

Christine Lemke-Matwey

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