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Kultur: Eine fröhliche Null

Salzburger Festspiele: Handkes „Die Unvernünftigen sterben aus“ erweist sich als quicklebendig

Der nette junge Mann, Schockfrisur und Ruderleibchen zur Anzughose, kommt von der Seite, tritt ans bereitgestellte Mikrofon: „Auf einmal fällt mir ein, dass ich etwas spiele, das es gar nicht gibt, und das ist die Verzweiflung.“ Er lächelt spitzbübisch ins Publikum, ist gleich wieder weg. Welche Verzweiflung?

Philipp Hochmair spielt den Raubtierkapitalisten Hermann Quitt aus Peter Handkes Stück „Die Unvernünftigen sterben aus“, das bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des „Young directors project“ Premiere hatte. Der Motto- Satz kehrt wieder, als Quitt am Ende des ersten Teils beschließt, seine Konkurrenten, mit denen er ein Preiskartell gebildet hat, auszutricksen und zu ruinieren. „Ich werde mein altmodisches Ich-Gefühl aus Produktivmittel einsetzen“, kündigt er fröhlich wie einen Werbeslogan an. Und: „Mein Kapital in dem Geschäft, das werde nur ich sein, ich allein!“

Nein, keine Verzweiflung bei diesem Quitt des Jahres 2006. Und am Ende denkt er auch nicht daran, gegen einen Felsen Amok zu laufen bis zum Exitus, wie Handke es vorsah. Hochmair stülpt sich kurz eine Plastiktüte über den Kopf, kleiner Scherz, und geht dann grinsend mit Victory-Zeichen ab. Das abendländische Ich ist tot, es lebe die Ich-AG!

Die Regisseurin Friederike Heller und ihr Protagonist, beide etwa so alt wie das Stück, schlagen die Tragödie darin locker aus – worin sollte sie auch bestehen? Schon 1973 war das tragische Ende wenig plausibel. Wie es bei Raimund einmal heißt: Wer ist stärker, ich oder ich? Kein Zufall übrigens, dass Handke just damals – das einzige Mal – einen Unternehmer zum Alter Ego erkor: Kurz zuvor hatte er sich mit „Der kurze Brief zum langen Abschied“ und „Wunschloses Unglück“ das auflagenträchtige Genre der autobiografischen Ich-Erzählung erschlossen – der Schritt zur „Selbstindustrialisierung“ des Schriftstellers.

Umstandslos legt Handke diesem Quitt seine hochsensiblen poetischen Sprachgirlanden in den Mund. Lässt ihn leiden am Auseinanderfallen von Ich, Sprache und Welt – nicht ohne dabei brillant die kapitalistische Werbeästhetik zu geißeln, diese „Über-Ich-Stimmen unserer Hochkultur“. Quitt darf sogar selber die angemessene Ironie für seine ungebrochene Sprechlust aufbringen. „Ich möchte mich auch lieber mit Sprachlosigkeit ausdrücken“, räsoniert er vor seinem Kammerdiener, „wie die einfachen Leute in dem Theaterstück neulich.“ Und in bester Wiener Nestroy-Manier repliziert der Dicke im Frack (Hermann Scheidleder): „Auch wenn Sie vor Leid Ihre Sprache verlieren, würde für Sie Ihr Geld sprechen.“

Wie inszeniert man so ein Vexierspiel mit doppeltem Boden? Vor allem: leicht und komisch. Wie schon bei ihrem „Untertagblues“ (am Wiener Akademietheater, ebenfalls mit Hochmair) unterläuft Friederike Heller die realistische Illusion, diesmal die eines Bungalow-Interieurs: Die Bühne von Sabine Kohlstedt, nach hinten durch Glaswände begrenzt, ist leer bis auf einen Wald Mikrofone, bereit für wechselseitige Ansprachen.

Handkes Nummerndramaturgie wird beim Wort genommen. Unter donnernder Auftrittsmusik rauschen nacheinander Quitts Freunde (und bald Feinde) wie Showstars herein: der korrekte v. Wullnow im Blazer (Rudolf Melichar), der hochgeschlossene Unternehmervikar Koerber-Kent (Jörg Ratjen), der tuntige Playboy Lutz (Markus Meyer) und schließlich Paula Tax mit Reitpeitsche (Dorothee Hartinger), einzige Unternehmerfrau und zugleich Geliebte Quitts. Komplettiert wird die Truppe durch Kilb, den lästigen Kleinaktionär (Michael Tregor), der die Bühne von der Seite erklimmt. Ein sabbernder Widerling mit Fahrradklammern, ist er zum Königsmörder bestimmt, verröchelt am Ende aber in Quitts Umarmung. Und vor allem ist da noch die schöne, von Quitt vernachlässigte Ehefrau, die in immer neuen Gewändern somnambul hinter den Glaswänden entlangstreicht.

Die Regisseurin macht sie zur Japanerin: Sachiko Hara hat die zarte, lächelnde Hingabe, die der Figur erst ihr Geheimnis gibt. In Salzburg darf sie sogar singen, was sie fühlt: „Ich kriege nie genug vom Leben“, haucht sie ins Mikrofon. Einmal kommt sie, aus der Rolle tretend, nach vorn an die Rampe und erzählt von Irm Hermann, die die Figur 1974 am Frankfurter Theater gespielt habe bei Fassbinder, mit dem sie damals liiert war. Eines Morgens sei die Schauspielerin mit Prügelspuren im Gesicht auf der Probe erschienen, habe aber sagen müssen, sie hätte sich bei einem Treppensturz verletzt – ein instruktiver Flashback auf den Künstler-Machismus der siebziger Jahre.

Zwei Frauen lieben diesen verkopften, egomanischen Quitt auf unterschiedlich masochistische, jedenfalls vergebliche Weise: Das ist natürlich nichts anderes als Boulevard. Und Handke, der das weiß, findet dafür ein böses Bild: Plötzlich stehen die beiden Frauen im gleichen geblümten Kleid voreinander. Der traurigen, wehen Emanze Paula verschlägt es die Sprache, während die Japanerin einen mitfühlenden Satz findet, der so nicht bei Handke steht: „Liebst du ihn so wie ich?“

Ist er es eigentlich wert, dieser Quitt? Wer ist er überhaupt? Bei Philipp Hochmair ein narzisstischer Kindskopf, ein hochmotorischer Springinsfeld, ein unheiliger Narr, eine fröhliche Null. Keinen Moment glaubt man ihm, dass er in den Kreis der gesetzten Herren Unternehmer gehört – und er selbst stellt es auch gleich zu Beginn klar: Das Tablett mit dem Begrüßungschampagner fliegt klirrend in die Luft. Wenig später lässt er Hose und Slip bis auf die Knöchel fallen und hüpft schreiend im Kreis herum: „Ich brauche Grenzen!“

Man stelle sich nur zum Vergleich einmal Bruno Ganz vor, Peter Steins grüblerischen Quitt, vor 32 Jahren an der Berliner Schaubühne: Wie er Peter Handkes kostbare Sätze mit inniger Ironie aus sich herauswand. Und plötzlich wird’s klar: Hochmair spielt Quitt als einen Wiedergänger von Kaspar, Kaspar aus dem Sprechstück von 1967, der hier wie unter Strom Eingelerntes von sich gibt. Auch eine Botschaft vom jungen Theater des Jahres 2006. Und Handkes Komödie, sie hält das locker aus.

Andres Müry

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