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Kultur: Eine Heimstatt für das 20. Jahrhundert

Die Zukunft der Staatlichen Museen Berlins: Peter-Klaus Schuster denkt über das Kulturforum hinaus

Kaum ein zweiter im Berliner Kulturbetrieb beherrscht so wie er die Rhetorik: Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. An seinen Satzgirlanden schwingt sich jedes Zagen ob der Zukunft der Museen zur Zuversicht empor, und nötigenfalls begräbt er unter Wortkaskaden alle Kritik, wie sie etwa nach der Einwerbung der Sammlung des namensbelasteten Friedrich Christian Flick auf die Stiftung einprasselte. „PKS“, wie ihn mit bisweilen auch spöttisch gewährtem Respekt die Mitarbeiter nennen, hat die Öffentlichkeit auf seiner Seite.

Beim Gespräch in seinem Büro in der Alten Nationalgalerie skizziert er sein gewaltiges Gemälde der Museumszukunft so leichthändig wie nur je. Sein Schreibtisch im edel renovierten Erdgeschoss der Alten Nationalgalerie ist makellos leer. Schuster hat Schreibtische an gleich drei Orten. Denn Direktor der Nationalgalerie ist er ja auch noch – der Alten wie der Neuen Nationalgalerie sowie des Hamburger Bahnhofs mit dem etwas großspurigen Untertitel eines „Museums der Gegenwart“. Gegenwart ist ein vergängliches Gut. Die Anwerbung der auf Zeitgenössisches gerichteten Flick-Sammlung, vorerst als auf sieben Jahre befristete Leihgabe, soll dem Anspruch neuerliche Berechtigung verschaffen. Flick hat meist aus den Künstlerateliers heraus gesammelt und will es auch weiterhin tun. Die Erstpräsentation seiner Kollektion, für Frühjahr 2004 vorgesehen, wird erstmals auch den geheiligten Neubauflügel des Hamburger Bahnhofs einbeziehen, der in unklarer, jedenfalls niemals offen gelegter Vertragslage bislang allein der Sammlung Marx überlassen ist. Damit wird die Frage nach dem zukünftigen Ort der Sammlung des 81-jährigen Erich Marx aufgeworfen werden, unter dessen Säulenheiligen zumindest die in den sechziger Jahren des nunmehr vergangenen Jahrhunderts zur Reife gelangten Andy Warhol oder Cy Twombly den Status von Klassikern beanspruchen.

Und schon kommt das Karussell in Gang. Denn der gemessene Ort für die Klassische Moderne ist die Neue Nationalgalerie von 1968, der Kunsttempel Mies van der Rohes. Nur: Im Mies-Bau ist die Sammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts immer seltener und lückenhafter zu sehen. Dafür ist Schuster oft gescholten worden, dabei teilt er den Vorwurf: „Dass es in Berlin nicht diese ständige Präsentation für das 20. Jahrhundert gibt, ist ein Skandal.“ Alle Erwägungen zur Brauchbarkeit des Miesschen Bau-Manifests einmal beiseite gelassen, lässt sich die Nachfrage nach Ausstellungsmöglichkeiten in dem Stahl-Glas-Bau kaum übersehen. „Man sollte denken, alle Künstler wollten in den Hamburger Bahnhof – aber das stimmt nicht“, konstatiert Schuster: „Wenn wir Ausstellungen haben wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als den Mies-Bau frei zu räumen.“ Wohin dann mit der ständigen Sammlung? Die Gemäldegalerie gleich gegenüber, 1998 erst eröffnet und mit großem Beifall bedacht, doch vom breiten Publikum schmählich missachtet, hat Schuster als Museum der Klassischen Moderne auserkoren. „Das Dube-Museum“ – wie er es nach dessen Mentor, seinem Vorgänger Wolf-Dieter Dube, in feiner Distanzierung nennt – „ist ein wunderbares Haus – aber Raffael, Dürer und Poussin sind dort nie angekommen. Umgekehrt kann Berlin als Ort der Moderne erst zur Verlockung werden, wenn wir ein großes Gebäude haben, das eine stabile Präsentation der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, dieses Schicksalsjahrhunderts Berlins, ermöglicht. Das Dube-Musuem ist nebenbei auch von der Ästhetik her ein Haus des 20. Jahrhunderts.“

Was mit der Flick-Sammlung gelang, weil mit einer Speditionshalle neben dem Hamburger Ort auch der Aufstellungsort zur Verfügung steht, ist für andere Sammlungen eben nicht gegeben. „In Berlin können wir nichts verankern, wenn wir unsere ständige Sammlung nicht zeigen.Aussicht auf öffentliche Präsentation. Also müsste die Gemäldegalerie, der Hort der Alten Meister des 13. bis 18. Jahrhunderts, neuerlich auf Wanderschaft gehen. Einen ersten Aderlass wird die Sammlung im kommenden Jahr verkraften müssen, wenn das derzeit mit Hochdruck sanierte Bode-Museum auf der Nordspitze der Museumsinsel wiedereröffnet wird. Es ist für die Aufnahme der seit ihrem Auszug aus dem Dahlemer Komplex heimatlosen Skulpturensammlung bestimmt. Die Trennung von Malerei und Skulptur zählt zu den geheiligten Tabus der Berliner Museen, an denen zu rütteln dem Generaldirektor spürbare Freude bereitet. Historisch gesehen, weiß er sich im Einklang mit seinem bewunderten Vorgänger Wilhelm von Bode, dem Condottiere der preußischen Museen über die ganze wilhelminische Ära hinweg. Bode schuf das Schreckgespenst aller Puristen, die period rooms, in denen sich Malerei, Plastik und Kunsthandwerk einer jeweiligen Epoche zu Arrangements auf der Mitte zwischen wissenschaftlich kühler Klassifizierung und stimmungsvoll bewahrten Prunkräumen trafen. Schuster weiß, dass dem Bode-Museum der glänzende Publikumserfolg der restaurierten Alten Nationalgalerie versagt bleiben muss, sollte es ausschließlich mit Skulpturen aufwarten. „Die Wiedereröffnung des Bode-Museums wird der turning point“, kalkuliert Schuster. Dann nämlich wird die Frage entschieden, ob die Alten Meister in eine neue Gemäldegalerie übersiedeln sollen, bestehend aus dem – schon zur Eröffnung im Jahre 1904 zu kleinen – Bode–Museum plus einem Neubau auf dem früheren Kasernengelände am gegenüberliegenden Ufer des Kupfergrabens.

Die interessierte Öffentlichkeit kennt diese Überlegungen unter dem Titel „Masterplan II“. Der Masterplan I beschreibt die Vervollkommnung der Museumsinsel mit ihren fünf Museen der abendländischen Kunst, ihre Sanierung und die Verbindung von vier der Bauten durch die „archäologische Promenade“. Ein Haus, die Alte Nationalgalerie, erstrahlt (seit Dezember 2001) in neuem Glanz, mit dem Bode-Museum folgt ein zweites in anderthalb Jahren. Das schwerkriegsbeschädigte Neue Museum wird frühestens 2008 fertig werden. Mit dem Bau eines neuen Eingangsgebäudes mit den Serviceeinrichtungen hapert es derzeit, Schinkels Altes Museum wird den Beginn der Sanierung frühestens 2008 erleben – und beim Pergamon-Museum, das an allen Ecken bröckelt, gibt es noch nicht einmal einen vom Bundesfinanzministerium genehmigten Planungsauftrag. Schon werden Jahreszahlen jenseits von 2015 für die Fertigstellung der Museumsinsel hochgerechnet, die doch vor kurzem noch binnen unseres Jahrzehnts abgeschlossen sein sollte. „Museen sind Ewigkeitsmaschinen“, erwidert Schuster gelassen: „Mit dem Baufortschritt der Museumsinsel erfährt man, wie man Geschichte behandelt. Es ist eine ,Expedition nach Pergamon‘, die wir erleben.“

Wenn allerdings die Ausführung von „Masterplan I“ in die Ferne eines künftigen Nachfolgers auf dem Generaldirektorenstuhl entschwindet, bedeutet dann das Vorantreiben des wagemutigen „Masterplans II“ nicht ein Verzetteln? Auch um diese Antwort ist Peter-Klaus Schuster nicht verlegen. „Verzetteln ist eine Kunst. Die müssen Sie nur richtig betreiben!“ Er schaut auf die Uhr. Ein Vortrag steht an. Auch den wird er aus dem Ärmel schütteln; was er an Unterlagen brauchen sollte, steckt in seinem edel abgewetzten Aktenköfferchen. Was er Berlin in der künftigen Gestalt der Staatlichen Museen hinterlassen will, steht vor seinen Augen.

Denn nur, wenn die vielfältigen Planungen zu einem Bild reifen, das begriffen und unvergesslich wird, nur dann –so Schuster – wird die Berliner Museumslandschaft wirklich überzeugend und dauerhaft geordnet werden können. Das Museum oder die Museumsgalerie als Bild, das jedermann einsichtig ist – das nur kann laut Schuster, über den Tag und seine Amtszeit hinaus, das Ziel der Staatlichen Museen zu Berlin sein.

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