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Kultur: Eine kleine Wassermusik

When I’m 65 in Gelsenkirchen: Bob Dylans einziges Deutschland-Konzert in diesem Sommer

Eine herrliche Kulisse, nah am Wasser gebaut. Watching the River Flow. Schwerbeladen zieht ein Lastkahn vorüber, es gibt noch Kohle im Ruhrgebiet. Die Schwimmer und Schlauchbootfahrer rudern ans andere Ufer zurück. Bob Dylan für lau. Ein paar hundert Zaungäste haben sich drüben auf der Böschung eingerichtet, in dem nicht ganz ausverkauften Amphitheater sitzen ein paar Tausend Zahlende. Sie sehen aus wie ein Opernpublikum, das sich für einen Besuch im Fußballstadion angezogen hat.

Es ist immer eine der großen Fragen, was er nicht spielt, wenn man sich zu Dylan aufmacht. Eine andere Frage lautet: Wie oft hast du Bob schon gehört? In Gelsenkirchen, beim einzigen Deutschland-Auftritt dieser Sommertour, gab es erwartungsgemäß noch nichts vom neuen Studioalbum „Modern Times“ (annonciert für Ende August) – und auch nur die üblichen Verdächtigen („Honest With Me“, „Summer Days“) aus den Alben der letzten Dekade. Bob Dylan jagt die Klassiker über die Fanmeilen, und dazu gehört als Intro das abgewrackte „Maggie’s Farm“ so sicher wie eine englische Pleite beim Elfmeterschießen. Der miserable Sound weckt schlimmste Befürchtungen. War Dylan open air nicht meistens großer Mist?!

Doch schon für das zweite Stück, „The Times They Are A-Changin’“, hat jemand den Schalter umgelegt (hier passt Fußball-Beckmanns dämliche Lieblingsphrase einmal), und Dylan schneidet scharf durch die Strophen, wie ein später Sonnenstrahl mitten ins Auge. Er hat eine kräftige Modulation an diesem Abend, spart sich das zahnlose, affektierte Gejodel, das englische Kritiker kürzlich noch zum Wahnsinn brachte. „Senor“, eine Ballade aus den Siebzigern, ist keine absolute Rarität wie „New Morning“, das er gegen Ende des Konzerts auspackt. „So happy just to be alive/Under the sky of blue“: So fröhlich hört man ihn nicht oft. „Senor“ aber legt Seele frei; eine New-Mexico-Räuberpistole, die Erinnerungen an den „Pat Garrett and Billy the Kid“-Film weckt.

„Can you tell me where we’re heading/Lincoln County road or Armageddon“. Der altestamentarische Dylan scheint auf in einer Umgebung, die nach Picknick riecht und Familienausflug, und es sind eine Menge Leute da, die einfach weitertanzen, auch wenn Dylan mit seiner Orgelei aus dem Takt kommt. Das unsterbliche „Desolation Row“ (hier mit einer romantisierenden, sehnsuchtsvollen Note, „Desolation Roooowww“) und „Highway 61 Revisited“ liegen auf der apokalyptischen Spur, auch wenn die Band einen ziemlich straighten Lauf hat und die Country-Blues-Rock-Arrangements einander arg ähneln, von Song zu Song.

Es gab Zeiten, da versteckte sich Dylan hinter dem Lärm, war kaum zu verstehen, nörgelte und nuschelte sich über die Runden. Jetzt wirken die Arrangements simpler, und der Mann in Schwarz, stets seitlich zum Auditorium postiert an seinen Keyboards, dringt wieder durch zu seinen Versen. Dreht die alten Geschichten weiter: „I’ll Be Your Baby Tonight“ in einer abgezockten Version, eine sehr erwachsene Verabredung zwischen einem Mann und einer Frau. Ähnlich auch „Forever Young“. Eine Hymne, die vor langer Zeit das Schicksal von „Blowin’ in the Wind“ ereilte, Man glaubte kein Wort mehr davon. Aber Dylan zieht das Tempo an, verschärft die frommen Wünsche, und da schwingt die süße Sinnlosigkeit aller Ratschläge für Jüngere mit.

Einen Totalschaden gibt es schon auch im grünen Gelsenkirchen, wo Dylan und seine Band lange vor dem Sonnenlicht von der Bildfläche verschwinden: „Mr. Tambourine Man“. Als ob ein 65-jähriges Kind eines seiner Lieblingsspielzeuge kaputtmachen wollte. „I’m ready for to fade/into my own parade.“ Er fährt sich da schrecklich in die Parade, aber dann ist es auch gut. Weil er an diesem Abend offenbar alle Manieriertheit und Stimmbandproben – zwischen Mickey Mouse und Johnny Cash – in diesen einen Song legt.

Die „Summer Days“, einer seiner absoluten Konzertfavoriten, werden immer länger und swingender, und man spürt den nahen Schluss. Und das ist schon ein bisschen gemein. Die Band kommt in Fahrt, vor allem George Recile, der Drummer, gibt sich mit der abgefederten Gangart offensichtlich nicht zufrieden. „Summer days and summer nights are gone“, sie legen die Instrumente beiseite, beraten sich kurz und machen sich sogleich an die Zugaben, ohne die Bühne zu verlassen.

„Like a Rolling Stone“ und „All Along the Watchtower“ stehen noch aus, die klassischen Rausschmeißer seit Jahren. How does it feel? Routiniert und, naja, no direction home, das ist als Schlachtruf so halbleer wie Schillers und Beethovens „Ode an die Freude“. Man weiß, wie’s geht, und freut sich doch. „All Along the Watchtower“ trifft. Jimi Hendrix hat diesen Dylan-Song berühmt gemacht, und Dylan spielt sich, nach 35 Jahren, immer dichter an Hendrix heran. Er schmirgelt. Er skandiert. Jedes Wort wie ein Wurfmesser. Die Band explodiert. Und dann eine artige Verbeugung. Der Rest ist Sache der Roadies, sie rennen auf die Bühne. Nächste Station Lille, Frankreich.

Rüdiger Schaper

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