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Kultur: Eine Krone für Dresden

Am Sonntag wird die Frauenkirche wiedereröffnet – 60 Jahre nach der totalen Zerstörung

Wenige Stadtansichten haben sich so sehr zur Ikone verdichtet wie diejenige Dresdens – so, wie sie ihr erster und bedeutendster Maler festgehalten hat. Der „Canaletto-Blick“ vom jenseitigen Elbufer vereint die drei Höhendominanten der Katholischen Hofkirche und des benachbarten Schlossturms mit der weiter links aufragenden Frauenkirche. Dresdens Silhouette sich vorzustellen ohne die „Steinerne Glocke“, wie die Kuppel der Frauenkirche seit dem 19. Jahrhundert genannt wurde, scheint unmöglich. Von welchem Standpunkt man sich der Altstadt auch nähert, vorzugsweise von der Neustädter Elbseite – stets zieht die hoch ragende Kuppel den Blick auf sich.

Und doch war genau das 59 Jahre lang nicht der Fall. Als die Frauenkirche am 15. Februar 1945 zu einem Trümmerhaufen zusammenstürzte, schien Dresden endgültig untergegangen. Zwei Tage hatte der im Feuersturm des alliierten Bombardements ausgeglühte Körper widerstanden, ehe die tragenden Pfeiler unter der Last der Kuppel barsten. Der Ruinenberg, aus dem Teile des Portals und der Chorapsis aufragten, wurde zum memento mori des verlorenen Elb-Florenz.

Seit am 22. Juni 2004 Turmhaube und Kreuz auf die wieder errichtete, gemessen an den Veränderungen in Bautechnik und Entwurfsdetails eher neu geschaffene Kirche gesetzt wurden, ist Dresdens turmreiche Silhouette wieder vollständig. Nicht ganz natürlich, bei weitem nicht; aber die Wunde, die der Untergang des Bauwerks geschlagen hatte und die nie vernarben wollte, ist geheilt. Am Sonntag, dem Tag vor dem Reformationsfeiertag, wird die protestantische Hauptkirche Dresdens geweiht – ein Akt, dessen Bedeutung und Symbolkraft weit über das unmittelbare Ereignis hinausreichen.

Bedeutsam ist die Frauenkirche als Meilenstein der Architekturgeschichte, insbesondere der protestantischen Kirchenbaukunst. Die Dresdner Hauptkirche ist ein kuppelgekrönter Zentralbau – eine Bauform, die im römischen Pantheon ihr prägendes Vorbild gefunden hat. In der altchristlichen Baukunst blieb sie die Ausnahme. Freilich eine, die zu Höchstleistungen anspornte, von der Hagia Sophia in Konstantinopel über die Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen bis zu Michelangelos Riesenkuppel des Petersdomes in Rom.

Protestantische Kirchenneubauten gab es nach der Reformation zunächst nicht; lediglich Schlosskapellen wurden in den lutherischen Stammlanden geschaffen, in Torgau, Gotha und eben auch Dresden. Der Zentralbaugedanke ergab sich aus der Forderung der protestantischen Theologie, Gemeinde und Prediger räumlich zusammenzufassen. An die Stelle der Sakramentskirche trat die Predigtkirche. Der Zentralbau bildet mit der dichten Versammlung der Gemeinde um die Kanzel eine ideale Bauform für die protestantische Worttheologie.

Doch ein unmittelbares Vorbild hatte Dresden nicht. Auf dem berühmten, 1748 entstandenen Gemälde von Bernardo Bellotto (1720-1780), nach seinem Onkel Canalettod.J. genannt und seit 1747 sächsischer Hofmaler, ragen der – damals noch nicht vollendete – Turm der Hofkirche und die Kuppel der Frauenkirche mit ihren Ecktürmen heraus. Diese Juxtaposition gibt den prägenden, doppelten Gegensatz zwischen katholischem und protestantischem Glauben und zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft wieder. Die Hofkirche, von dem zur Sicherung der von seinem Vater erworbenen polnischen Königskrone zum Katholizismus übergetretenen August III. 1734 beim Italiener Chiaveri in Auftrag gegeben, antwortete der Frauenkirche, die der Rat der Stadt Dresden 1722 beim Ratszimmermeister Georg – eigentlich George – Bähr in Auftrag gegeben hatte. Dass der Zimmer- und nicht der Maurermeister des Rates den Auftrag bekam, bezeugt, dass anfänglich eine hölzerne Kuppel in Aussicht genommen wurde. Bährs erste Entwürfe belegen es.

Doch während die nach manchen, durchaus verbessernden Planänderungen durch das „Oberlandbauamt“ 1726 begonnenen Arbeiten bis zum Kuppelansatz fortgeschritten waren und sich das sächsische Herrscherhaus, das am Bau auch finanziell großen Anteil nahm, mit der polnischen Thronfolge beschäftigt war, setzte Bähr sein inzwischen gereiftes Vorhaben einer steinernen Kuppel durch. Dieser Eigenmächtigkeit verdankt die Nachwelt eine der kühnsten Konstruktionen der Architekturgeschichte.

Der Überarbeiter des Bährschen Entwurfs, der noch junge Christoph Knöffel, dürfte sich an dem nicht lange zuvor fertig gestellten Invalidendom orientiert haben. Knöffel klärte den Grundriss zu einem Quadrat mit eingeschriebenem Kreis für die Kuppel, die auf acht auf den Kreismittelpunkt ausgerichteten Pfeilern ruht. Die enorme Überdehnung der ursprünglich als Halbkugel gedachten Kuppel sollte erhebliche statische Probleme nach sich ziehen, die die Geschichte der Frauenkirche bis zu ihrer letzten, im Kriegsjahr 1943 abgeschlossenen Generalsanierung begleiteten und erst beim jetzigen Neubau aus der Kenntnis der seinerzeit unvermeidlichen Fehler vermieden werden konnten. Bähr glaubte, einen Teil der gewaltigen Last der Kuppel über die massiven Außenmauern abzutragen. Tatsächlich aber zeigen die Kraftlinien der in die Länge gezogenen Kuppel geradewegs nach unten in die mächtigen, gleichwohl schlank wirkenden Pfeiler.

Doch ihrer in die Höhe schießenden Dehnung und der Ausführung der Kuppel im gleichen, unverputzten Stein wie der Baukörper verdankt die Frauenkirche ihre einzigartige Erscheinung. Sie zeigt sich wie „aus einem Guss“ – eben aus demselben Stein, der im Elbsandsteingebirge gebrochen und dort auch jetzt wieder gefunden wurde. Baukörper und Kuppel bilden eine Einheit, vollführen eine einzige Bewegung in die Höhe, in der allein die kupfergedeckte Laternenhaube einen farblichen Kontrast bildet.

Bährs Kuppel, die er ganz im Vertrauen auf die tradierten Kenntnisse seiner Steinmetzen wagte, zählt mit einem inneren Durchmesser von 23,5 Metern zu den größten Kuppeln nicht nur ihrer Zeit. Der Dresdner Zimmermeister kannte keinen der zeitgenössischen Kuppelbauten aus eigener Anschauung, weder den Invalidendom in Paris noch Christopher Wrens gewaltige St.-Pauls- Kathedrale in London (1710) oder den zeitgleichen Bau der Wiener Karlskirche Fischer von Erlachs. Von ihnen hatte er Kenntnis allein durch Baubeschreibungen und Stiche.

Umso großartiger mutet seine Leistung an – wie auch die der Bauleute, die die innere Schale der komplizierten, dreischaligen Kuppel 1733 nach nur sieben Jahren Bauzeit fertig stellen. Ein Jahrzehnt später war der Bau mit seiner barocken Ausstattung, mit den Fresken der vier Evangelisten und der vier Kardinaltugenden und mit der großartigen, hochbarocken Komposition von Altar und Silbermann-Orgel zur Gänze vollendet.

In den folgenden zwei Jahrhunderten gab es immer wieder Anlass zu umfangreichen Reparaturarbeiten. Erst die Generalsanierung von 1938-43 schien den Bau auf Generationen hinaus zu sichern. Sie hielt zweieinhalb Jahre.

Nach der Kriegszerstörung gingen beherzte Denkmalschützer mit einfachsten Mitteln zu Werk, um die geborstenen Steine zu sichern und zu dokumentieren. An einen Wiederaufbau inmitten der Trümmerwüste Dresdens war nicht zu denken. Die Stadtplanung zielte bereits 1945 auf die „Verkehrserfordernisse einer modernen Großstadt“; später dann auf die sozialistische Stadt mit Magistralen und Wohnblöcken. Die Erhaltung der Ruine wurde zu einem Hase-und-Igel- Spiel zwischen Staat und Partei auf der einen Seite und der Denkmalpflege auf der anderen. Hans Nadler, dem dieser Tage 95-jährig verstorbenen Nestor der Dresdner Denkmalpflege, gebührt der Ehrenplatz unter den Streitern für die Offenhaltung des Wiederaufbaus. Fritz Löffler, mit seinem seit 1955 mehrfach wieder aufgelegten Buch „Das alte Dresden“ der Chronist der Stadt schlechthin, frohlockte angesichts des Wiederaufbaus der Semperoper und der angekündigten Instandsetzung des Residenzschlosses 1984, es werde „auch die Frauenkirche künftig wieder das Stadtbild bekrönen“. Doch setzte sich eher die Interpretation des Trümmerbergs als Mahnmal durch – so sehr, dass die Landeskirche selbst den Willen zum Wiederaufbau verlor.

„Die zusammengebrochene Frauenkirche ist zum materialisierten Symbol nicht nur der Sterbestunde Dresdens geworden, sondern darüber hinaus der Katastrophe Zweiter Weltkrieg und des ,Zusammenbruchs’ des Deutschen Reiches als Verursacher dieser Katastrophe. Sie ist Mahnmal gegen den Krieg und vielleicht sogar so etwas wie ein Sühnemal für kollektive Schuld der Deutschen“, schrieb die Kirchenleitung noch nach der Wende von 1989. Umso deutlicher artikulierte sich der Bürgerwille, gerade die Frauenkirche als Symbol eines nie gänzlich ausgelöschten bürgerlichen Dresden wieder zu errichten. Allein diese einmütige Sinngebung erklärt den Widerhall, den der am 13. Februar 1990 ergangene „Ruf aus Dresden“ auch international fand – mit dem Ergebnis, dass der 180 Millionen Euro teure Wiederaufbau zu immerhin 55 Prozent aus privaten Spenden finanziert werden konnte.

Mit ihrem „archäologischen Wiederaufbau“ gibt die Dresdner Frauenkirche ein eindrucksvolles Beispiel für die Möglichkeit einer die Originalsubstanz so weit als irgend möglich berücksichtigenden Rekonstruktion. Der berühmte Altar besteht sogar zu 85 Prozent aus geborgenen Steinen. Aus dem 21000-Kubikmeter-Trümmerberg gerettete Formsteine fanden überall Verwendung, sogar in der gewagten Kuppelkonstruktion, sofern es die empfindliche Statik zuließ.

Daraus erklären sich die ins Auge springenden schwarzen Einsprengsel in der sandweißen Außenhaut. Doch sie dienen durchaus nicht der dauerhaften Unterscheidung von Alt und Neu. Schwarze Patina wird das Bauwerk in wenigen Jahrzehnten überziehen wie schon bis zum Februar 1945. Und nicht etwa aufgrund von Luftverschmutzung, sondern wegen des Eisengehalts des sächsischen Steins, der allmählich oxidiert und schwärzt. In dieser Patina zeigt sich die fortdauernde Geschichtlichkeit der Frauenkirche.

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