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Kultur: Eine kurze Geschichte der Zeit

Von Christina Tilmann Kommt ein Künstler in eine Galerie und erzählt dem Galeristen einen Traum: Es geht um Mongolen und Plüschponys. Plötzlich klingelt das Telefon, und dem Künstler wird bewusst: Der Galerist hat keine Zeit.

Von Christina Tilmann

Kommt ein Künstler in eine Galerie und erzählt dem Galeristen einen Traum: Es geht um Mongolen und Plüschponys. Plötzlich klingelt das Telefon, und dem Künstler wird bewusst: Der Galerist hat keine Zeit. Beschämt bricht er seine Erzählung ab und malt stattdessen das Bild eines rosa Plüschponys.

Christoph Schäfers Installation „Plüschpony“ spielt mit dem Thema Zeit: Zeit verschwenden, Zeit gewinnen, Zeit darstellen. Die Zeit, die einer für sich einfordert und die Zeit, die der Betrachter ihm zu widmen bereit ist, geraten nicht nur in dieser Arbeit immer häufiger in Konflikt. Wenn auf der Documenta mehrstündige Videoarbeiten zu sehen sind, stellt sich die Frage nach dem Zeitmanagement. Andererseits zeugt die starke Präsenz von Arbeiten, die sich mit dem Thema Archiv beschäftigen, vom Wunsch der Künstler, jenseits der Gegenwart eine Vorstellung von Zeit als Kontinuum zu bewahren.

Mit der Frage der Zeit und des Umgangs mit ihr befasst sich eine Ausstellung, die die Berliner Akademie der Künste aus dem Museum Ludwig übernommen hat. Der Titel „Ökonomien der Zeit“ spielt modisch mit dem Verhältnis von Kunst und Wirtschaft, das zur Zeit häufig thematisiert wird - zum Beispiel in der Hamburger Ausstellung „Arts and Economy". Der Titel ist jedoch, glaubt man den Kuratoren Hans-Christian Dany und Astrid Wege, in der griechischen Ur-Bedeutung als „Haushalten“ gemeint. 26 Künstler haben sich mit Zeit auseinander gesetzt - spielerisch, politisch oder polemisch. Da werden Kunstwerke fotografiert, die französische Arbeiter während eines Streiks schufen (Jean-Luc Moulène), oder die Veränderungen des städtischen Raums in Berlin dokumentiert (Katja Eydel).

Eine Serie von Zeichnungen kartografiert Orte wie das World Trade Center oder das Pentagon und konfrontiert sie mit Videoaufnahmen aus Zeiten vor der Katastrophe (Andree Korpys/Markus Löffler). Und auch der Merve-Verlag darf Eigenwerbung betreiben, indem seine seit 30 Jahren kaum veränderten Cover als besonders gelungenes Beispiel von Nachhaltigkeit gefeiert werden. Das ist alles anschaulich und gut lesbar: Besonders spannend ist es nicht.

Kaum eine Arbeit erreicht die Schärfe, mit der David Hammons in seiner Performance „Bliz-aart Ball Sale“ das Thema Handel und Vergänglichkeit aufgegriffen hatte. Auf dem Cooper-Square in New York bot der Künstler 1983 Schneebälle zum Verkauf: Alles kann zur Kunst werden, alles kann zur Ware werden, alle Kunst ist flüchtig. Paradoxerweise ist gerade dieser Aktion besondere Dauer beschieden: Ein Sammler soll der Legende nach einen Schneeball jahrelang im Kühlschrank aufbewahrt haben.

Mit der Hommage an Hammons haben die Kuratoren die Latte hoch gelegt. Auch Marcel Broodthaers, Marie Curie und Robert Smithson werden als geistige Ahnen bemüht: Mit Verweis auf Robert Smithson baut Mark Dion mit seinem „Deeptime Closet“ eine Treppe, die die n der Erdzeitalter trägt. Eine Lawine aus Asphalt, die sich über die Stufen ergießt, zitiert eine Aktion Smithsons von 1969. Das Wunder jedoch liegt im Inneren der Treppe: Tritt der Betrachter in den engen, dunklen Raum, glänzt über ihm ein Sternenhimmel. Der Rückgriff auf die Frühgeschichte und der Ausblick in die Unendlichkeit des Alls auf kleinstem Raum: eine der wenigen eindrucksvollen Arbeiten der Ausstellung.

Andere spielen mit der Vergänglichkeit von Informationen. Der afrikanische Künstler Barthélémy Toguo bearbeitet eine deutsche Tageszeitung, indem er alle Texte, die er nicht versteht, schwärzt und nur die Bilder stehenlässt. Henrik Olesen konterkariert einen Bericht, den die italienische Zeitung „La Stampa“ über Turteltauben veröffentlichte, indem er die Vögel als homosexuell kennzeichnet. Häufig jedoch rächt sich die unklare Betitelung des Projekts. Kaum eine Arbeit kann sich vom Thema Geldkreislauf lösen: Wenn Edson Barrus einen Rosenkranz aus den Schachteln aller Zigaretten flicht, die er in den vergangenen zehn Jahren geraucht hat, ist mit dieser mühevollen Kleinarbeit natürlich das Thema Zeit und Zeitverschwendung angesprochen.

Dominanter ist der wirtschaftliche Kontext: Die Zigarettenschachteln deuten auf die Tabaksteuer hin. Noch plakativer geht Christian Philipp Müller vor, wenn er in „Tauschwerte“, 1996 in Weimar begonnen, eine Vielzahl von Goethe-Pralinen einem Berg von Kakaobohnen aus Ghana gegenüberstellt und damit auf die ausbeuterischen Verhältnisse in den Kakaoplantagen hinweist. In diesem Moment wird der Besuch dann leider doch: Zeitverschwendung.

Ökonomien der Zeit, Akademie der Künste, Hanseatenweg10, bis 8.September. Mo 14-20, Di-So 11-20 Uhr. Der Katalog kostet 20 Mark. Die Eröffnung am heutigen Sonntag beginnt um 11.30 Uhr.

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