zum Hauptinhalt

Kultur: Eine Landkarte der Künste

Markus Luchsinger leitet das Theater- und Tanzprogramm der Berliner Festwochen. Ein Gespräch über Politik auf der Bühne und andere unbekannte Territorien

Herr Luchsinger, wohin brechen Sie auf mit Ihrem neuen Programm?

Ich neige zu der Meinung, dass sich gewisse Linien auch bei einem Festival oder in einer Saison, wie wir es nennen, erst während der Arbeit herauskristallisieren, sich bei der Planung entwickeln. Ich will die Möglichkeit haben, auf die aktuellen Entwicklungen in der Kunst zu reagieren. Ein Festival sollte nicht nur Schaufenster sein, nicht nur Highlights zeigen, sondern auch bündeln und gewichten. Wir sind ja hier in Berlin nicht allein, andere Bühnen verfolgen ähnliche Ziele. Das Festival ist der Moment der Konzentration, wo die Zuschauer sich gründlicher mit bestimmten Richtungen auseinander setzen können. Uraufführungen sind ein Risiko für ein Festival, zugleich aber auch eine Herausforderung. Man bewegt etwas, wenn man nicht nur sichere Werte einlädt.

Die Festwochen stellen in der Reihe „Personale“ einen Künstler in einer Werkschau vor. Den Anfang macht der Tunesier Fadhel Jaibi. Sein Stück „Creation“ handelt vom Misstrauen zwischen Deutschen und Muslimen. Die Besonderheit: Jaibi erarbeitet das Stück mit deutschen, türkischen und arabischen Schauspielern. Ist das der Versuch, im Prozess die sozialen Konflikte einzufangen?

Jaibi ist ein Autor, der nicht von fertigen Texten ausgeht, er kommt mit einem Treatment auf die Proben und erarbeitet das Stück zusammen mit den Schauspielern, die gleichzeitig die Autoren ihrer Texte sind. Beim Casting zu „Creation“ wählte Jaibi die Schauspieler danach aus, ob sie einen persönlichen Bezug zu der Thematik haben. Mit den fünf ausgewählten Schauspielern ist er nach Tunesien zu einer ersten Probenphase gefahren. Sie haben so den Hintergrund des Regisseurs kennen gelernt und von den alltäglichen Konflikten dort erfahren.

Aus der Programmatik spricht eine Neuorientierung: Die politische Landkarte hat sich verändert, reagieren Sie darauf mit einer neuen Landkarte der Künste?

Berlin hat ein Problem, das andere Städte nicht haben. Weil eine Tradition hier immer noch in den Köpfen lebt: die isolierte Insel-Situation und die frühere Rolle der Festspiele. Die Zeiten haben sich geändert. Man muss eine Mischung finden – und da ist der Begriff Landkarte sehr geeignet – zwischen den bekannten und unbekannten Territorien. Ost- europa wollen wir nicht vernachlässigen. Polen ist dieses Jahr vertreten mit Krystian Lupa. Im Januar wird es ein kleines Festival „Breslau/Wroclaw in Berlin“ geben. Zu den unbekannten Territorien zählt die arabische Welt, aber auch Südeuropa, Italien.

In den vergangenen Festwochen-Jahren gab es ein Auf und Ab, Theater und Tanz waren als Programmpunkt nicht so fest verankert wie die Musik.

Wir haben uns den Etat diesmal fair geteilt, die Häfte für Musik, die Hälfte für Theater und Tanz. Es ist auch der Wunsch des Intendanten Joachim Sartorius, dass dies so bleibt. Es hat mit der finanziellen Struktur der Festspiele zu tun, dass die Festwochen manchmal die Restwochen waren. Man präsentierte, was noch übrig blieb. Die Zuwendungen kamen immer sehr spät, das ist ein Problem, das auch mit der Übernahme durch denn Bund nicht gelöst ist.

Man hört immer wieder, dass andere Berliner Veranstalter die Festwochen jetzt als Konkurrenz empfinden.

Die Tatsache, dass wir ein eigenes Festspiel- Haus haben, hat sofort Ängste geweckt: Was passiert mit dem Hebbel-Theater oder der Schaubühne? Die Aufgabe der Festwochen ist es doch, neue Spielmöglichkeiten zu schaffen in der Stadt, außerhalb der festen Institutionen, und zu kooperieren. Hebbel-Theater, Schaubühne und Festwochen treten zusammen an, den Westen Berlins zu beleben. Wir haben alle das Problem, nicht in der Mitte der Stadt angesiedelt zu sein. Sofern die Stadt überhaupt eine Mitte hat.

Gibt es ein neues politisches Theater?

Internationales Theater ist in der Lage, uns, deren Theater so unpolitisch geworden ist, Möglichkeiten aufzeigen, wie Politik auch in der Kunst aufscheinen kann. Jaibi ist interessant, weil er ähnlich wie die Künstler in Osteuropa vor der Wende konfrontiert ist mit einer Zensur – mit all den Denkmechanismen, die sich da in Bewegung setzen. Heute Abend eröffnen wir unser Programm mit der Batsheva Dance Company aus Tel Aviv – mit „Naharin’s Virus“ nach Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“. Die Musik stammt von dem Palästinenser Habib Alla Jamal. Die Israelis legen aber Wert darauf, dass man von einem israelischen Araber spricht. Darin steckt schon die ganze Brisanz.

Das Gespräch führten Sandra Luzina und Rüdiger Schaper.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false