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Kultur: Eine Leine namens Dirk

Das Schöne am Segeln ist die Bequemlichkeit. Man sitzt herum, und alles, was man tun muss, ist zu verhindern, mit anderen, die dasselbe machen wie man selbst, zusammenzustoßen.

Das Schöne am Segeln ist die Bequemlichkeit. Man sitzt herum, und alles, was man tun muss, ist zu verhindern, mit anderen, die dasselbe machen wie man selbst, zusammenzustoßen. Menschen, die herumsitzen, machen keinen Ärger. Umso mehr, da sie sich trotz ihres Nichtstuns fortbewegen. Ja, Segeln ist Lebenskunst in ihrer nobelsten Form. Dass es einmal als Gentlemen’s Sport galt, ist kaum verwunderlich, auch wenn die Umgangsformen auf dem Wasser ein wenig darunter gelitten haben, dass die weißen Hemden, weißbesohlten Lederslipper und hellen Leinenhosen aus der Mode geraten sind, mit denen Humphrey Bogart auf seiner „Santana“ unterwegs war. Trotzdem gilt Bogarts Leitsatz noch immer: „Der Segler ist frei – er kennt keine Rechenschaft.“

Dabei überlässt sich der Segler einer Welt physikalischer Zwänge. Der erste und zweite Hauptsatz der Thermodynamik sind ihm in jede Faser seiner Muskulatur eingeschrieben. Dass man Energie weder erzeugen noch vernichten, sondern allenfalls umwandeln kann, spürt er am Zug der Schoten, am knatternden Tuch, am Rauschen der Bugwelle, seinem liebsten Geräusch. Und dass es Energiearten gibt, die sich seiner Umwandlungskunst entziehen, ist ihm mit jeder Welle bewusst, die ein vorüberlärmendes Motorboot an seine Bordwand wirft. Doch sind das Kräfte, denen er trotzen kann. Ungemach droht von woanders her. „Nimm mich doch mal mit“, lautet der Satz, den der Segler mehr fürchtet als einen Mastbruch.

Da sitzt er dann, und alles muss plötzlich einen Sinn ergeben. Woher der Wind kommt, wie er entsteht und ob man ihn „riechen“ kann. Diese Leine heißt „Schot“, die andere „Fall“, eine sogar „Dirk“. Und „Niederholer“, „Topnannten“ und „Bugstopper“ gibt es auch. Unermüdlich ist der Drang der Bordnovizen, in die Geheimnisse der maritimen Begriffswelt einzutauchen. Und man selbst ist vollends damit beschäftigt, den Gast vor ernsten Verletzungen zu bewahren. Kopf runter! Klemm dir nicht die Finger! Eine Hand für dich, die andere fürs Schiff! Man darf mit Menschen, die man gerne hat, wasserwärts auf eine Weise umspringen, wie sie sonst nur in Straflagern üblich ist. Und wie ein Stich durchfährt den Kapitänsdompteur die Ahnung, dass sein Vergnügen an der Macht unberechenbar und das Chaos nah ist. Ach, hätte ihn doch nur nie jemand mitgenommen auf das Segelboot, das sein erstes war.

Bisher erschienen: unterwegs zu Fuß, mit dem Rad, auf der Vespa, mit der Luftmatratze und dem Auto. Als Nächstes: unterwegs mit dem Zug.

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