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Kultur: Eine Polonaise für alle - "Pan Tadeusz" von Andrzej Wajdas ist der diesjährige Parade-Film

Am Ende führt die ganze Gesellschaft die Polonaise auf. Gravitätisch schreiten die Tänzer an der Kamera vorbei, verbeugen sich, tanzen weiter: Eine Epoche, die für 157 Kinominuten auferstanden ist, entschwindet langsam unseren Blicken, hinweg in die Vergangenheit, aus der sie nur durch die Magie des Kinos gelangte.

Am Ende führt die ganze Gesellschaft die Polonaise auf. Gravitätisch schreiten die Tänzer an der Kamera vorbei, verbeugen sich, tanzen weiter: Eine Epoche, die für 157 Kinominuten auferstanden ist, entschwindet langsam unseren Blicken, hinweg in die Vergangenheit, aus der sie nur durch die Magie des Kinos gelangte. Ganz gewiß ist Andrzej Wajdas neuer Film "Pan Tadeusz" - nach Adam Mickiewiczs gleichnamigem Vers-Epos - ein nostalgischer Epochenfilm, rückwärtsgewandt zu den "geistigen Quellen" Polens und des Polentums. Ein groß zelebrierter Abschied auch wie in so manchem Wajda-Film, von der "Hochzeit" bis zu "Asche und Diamant". Zugleich ist er binnen weniger Tage in unserem Nachbarland zum nationalen Ereignis geworden.

Polen im "Pan Tadeusz"-Fieber? Das wäre übertrieben. Doch in den Schaufenstern stapeln sich die Bildbände zum Thema, die Großstadtkinos öffnen schon morgens um halb neun, Schulklassen bevölkern die ersten Vorstellungen - und schon erscheinen die Prognosen, dass bald 20 Millionen Polen den Film gesehen haben dürften, als ziemlich realistisch. Ein ungewöhnlicher Erfolg: Schließlich bleibt der Film sogar dem Alexandriner-Versmaß seiner romantischen Vorlage treu. Doch nach kurzer Zeit steckt man mitten drin im Poem im polnischen Adelsmilieu am Vorabend des napoleonischen Russlandfeldzuges im Jahr 1811, steckt man mitten in der Welt um den antirussischen Widerständler und Bernhardinermönch Robak (Boguslaw Linda), den kahlköpfigen Gerwazy (Daniel Olbrychski) und den mehr beobachtenden als handelnden Pan Tadeusz selbst. Natürlich hilft dabei das moderne Kino mit allen Mitteln: Da sind die von Allan Starski üppig ausgestatten Bilder, da ist die Kamera des neuen Stars Pawel Edelman, da ist die Musik von Wojciech Kilar. Und Wajda reichert das Geschehen mit einer Vielzahl reizvoller Details an, von der Kaffeezeremonie bis zum Tanz einer Schönen (Grazyna Szapolowska) im Walde.

Auf dem Festival von Gdynia, dem Schaufenster der polnischen Filmproduktion, hatte "Pan Tadeusz" als Abschlußfilm einen Ehrenplatz. Den Politikern aber erschien dies für eine Weltpremiere dieses Kalibers wohl als zu dürftig, weshalb der Film einen Tag vor Festivalstart im Warschauer Großen Theater gezeigt wurde, geadelt durch die Anwesenheit von Präsident Kwasniewski. Fast eine Staatsaffäre also - schließlich kostete der Film drei Millionen Dollar. Verglichen mit dem, was vergleichbare Hollywood-Budgets bei ähnlichem Aufwand erfordern, ist das eine lächerliche Summe - und dennoch diskutierte man in Polen sehr kritisch, ob die Dimensionen von Wajdas Projekt und Jerzy Hoffmans Historien-Spektakel "Mit Feuer und Schwert" finanziell noch Luft für andere Filme lassen würden. Nun, immerhin 25 neue Filme wurden in Gdynia gezeigt, doch die Qualität tendierte eher zum Mittelmaß. Der Grand Prix ging an Krzysztof Krauzes Film "Schulden", ein Kriminalfilm auf "Tatort"-Niveau: er erzählt vom Drang junger Warschauer zu Erfolg und schnellem Geld - und mündet in einen Doppelmord.

Der künstlerisch herausragendste Beitrag, Filip Zylbers Krimi "Der Exekutor", wurde schon in Mannheim ausgezeichnet und wird dieser Tage auf dem Osteuropa-Festival in Cottbus vorgestellt. Jerzy Stuhrs dritte Regiearbeit wiederum "Eine Woche aus dem Leben eines Mannes" war bereits in Venedig vertreten. So blieb nur das zumindest handwerklich Überzeugende. Barbara Sass schildert in "Wie ein Narkotikum" den Aufstieg einer jungen talentierten Dichterin in den Jahren vor und nach dem Kriegszustand: die gesellschaftlichen Veränderungen nimmt sie nur am Rande wahr, weil sie mit den Folgen einer chronischen Herzkrankheit zu kämpfen hat. Die Ungarin Márta Mészaros stellte in Co-Produktion mit Polen "Töchter des Glücks" vor, eine Gegenwartsgeschichte über das Elend in einer grenzenlos unmoralischen Welt. Drei Russinnen fahren nach Warschau, um dort ein paar Dollar für die Familie zu verdienen. Die älteste stirbt bei einer Drogenrazzia, die zweite kommt in einem Edelbordell (eingerichtet sinnigerweise im Warschauer Kulturpalast, dem einstigen Geschenk der Sowjetunion an Polen) fast zu Wohlstand, ihre Tochter, ein junges Mädchen noch, wird ihr vermutlich folgen. Eine bittere, auch bewegende Geschichte, die freilich nirgendwo versucht, zum künstlerischen Höhenflug anzusetzen.

Polens Kino wird von jeher vom Wettstreit der Generationen bestimmt. Die Jungen haben es schwer auf dem engen Markt, zumal die ältere Regiegeneration noch hochaktiv ist. Da zeigte etwa der fast 70-jährige Jerzy Wójcik (Kamera bei "Eroica", "Asche und Diamant" und "Mutter Johanna von den Engeln") seine Arbeit "Das Tor nach Europa", eine düstere Geschichte aus den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges. Das nächste Historiengemälde ist auch schon in Arbeit: eine Verfilmung des Sienkiewicz-Romans "Quo Vadis?". Regisseur: Jerzy Kawalerowicz, 77 Jahre alt.

Michael Hanisch

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