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Kultur: Eine Prinzessin aus Karthago

Wenn die Bastille-Oper zum ersten Mal in ihrer achtjährigen Geschichte ein unbekanntes Werk ankündigt, darf sie unserer gespanntesten Aufmerksamkeit sicher sein.Das große Los zogen Philippe Fénélon und seine Oper "Salammbô".

Wenn die Bastille-Oper zum ersten Mal in ihrer achtjährigen Geschichte ein unbekanntes Werk ankündigt, darf sie unserer gespanntesten Aufmerksamkeit sicher sein.Das große Los zogen Philippe Fénélon und seine Oper "Salammbô".Beinahe hätte die Uraufführung in Berlin stattgefunden: Die Verhandlungen waren schon weit gediehen, aber dann schreckte die Komische Oper vor dem finanziellen Risiko doch zurück.Der heute 46jährige Fénélon, der in Barcelona lebt und aussieht wie eine schwermütige Dogge, ist ein Schüler von Olivier Messiaen.Aber es war nicht der Unterricht am Pariser Konservatorum, der die stärksten Eindrücke bei ihm hinterließ, sondern die serielle Schule, Stockhausen und Boulez.Auch wenn er den strengen Regeln der Zwölftontechnik nicht mehr folgt - der atonalen Klangwelt ist er treu geblieben.Selbst vor außermusikalischen Geräuschen schreckt er nicht zurück: In einem Sopransolo ("Pré-Texte") singt die Sängerin nicht nur, sondern spricht, lacht und kreischt.Auffallend ist die oft ungewöhnliche Zusammenstellung von Instrumenten: "Orion" ist ein Quartett für Klarinette, Posaune, Bratsche und Harfe, "Notti" ein Duett zwischen "einer Stimme" und einem Kontrabaß.In "Zabak" ertönen nur Schlaginstrumente.

Wie kommt ein an der Spitze der Avantgarde marschierender Pionier dazu, als Opernstoff ausgerechnet "Salammbô" zu wählen? Als Flauberts Roman 1862 erschien, war die Verblüffung groß.Von dem Erfinder der unanständig aktuellen "Madame Bovary" hätte man etwas anderes erwartet als ein historisches, durch jahrelange Quellenstudien sorgfältig belegtes Kolossalgemälde aus dem alten Karthago.Salammbô ist eine Tochter des karthagischen Fürsten Hamilkar, der soeben den Ersten Punischen Krieg zu Ende gebracht hat.Während Hamilkar in Rom verhandelt, revoltieren daheim die Söldner.Sie bemächtigen sich des Allerheiligsten, des Schleiers der Stadtgöttin Tanit, deren Priesterin Salammbô ist.Salammbô opfert dem Anführer der Aufständischen, dem Libyer Mâtho, ihre Unschuld, um den Schleier zurückzuerhalten.Doch als der zurückgekehrte Vater den Aufstand brutal niederschlägt und Mâtho zu Tode foltern läßt, stirbt sie beim Anblick seiner Qualen.Im Programmheft will Jean-Yves Masson, der Librettist, diese barbarische Saga aus dem Halbdunkel der Geschichte als zeitgenössisches Drama verstanden wissen, als "Hymnus auf die Freiheit des Individuums gegenüber der Macht".Ist Salammbô also eine Gesinnungsschwester von Beethovens Leonore? Eher wohl eine Figur des Feminismus.

Fénélon ist nicht der erste, der Flauberts Roman vertonte.Mussorgskij versuchte sich daran, gab aber schon nach einigen Szenen auf.Weiter kam der französische Wagnerianer Ernest Reyer; seine Oper wurde 1890 in Brüssel uraufgeführt.Im Film "Citizen Kane" machte Bernard Herrmann aus Salammbô eine hochkomische Saint-Saëns-Parodie.Von Saint-Saëns und der üppigen Melodik von "Samson und Dalila" ist Fénélon weit entfernt.In einem Round-Table-Gespräch, das der Premiere voranging, hatte er gelobt, seine neue Oper werde zugänglicher sein und weniger ségregationniste als sein Erstling, "Le chevalier imaginaire" (nach Cervantes), der 1993 in Paris konzertant uraufgeführt worden war.Wer daraufhin blühende Kantilenen erwartet hatte, sah sich enttäuscht.Es ist die spröde Klangwelt von Schönbergs "Moses und Aron", in die wir uns begeben.Eine durchgehende, vom Orchester begleitete Gesangslinie fehlt.In der Regel wechseln die Einwürfe der Solisten - häufig in extremen Lagen - mit Eruptionen des Orchesters, das überwiegend aus Bläsern und Schlagzeug besteht.Im Finale, Salammbôs Liebestod, haben allein Schlaginstrumente das Wort.An einigen Stellen verwendet Fénélon elektronische Effekte.Eine prominente Rolle spielt der Chor.

Soweit man dies ohne Partitur beurteilen kann, haben Gary Bertini und sein Orchester ihre Aufgabe brillant bewältigt.Von den Sängern läßt sich dies leider nicht behaupten.Eine der bedauerlichen Eigenschaften unseres Musikbetriebs ist es ja, daß die Komponisten keine Partituren mehr schreiben, die Sänger der Spitzenklasse anziehen.Kathryn Harries, der Fénélon die Titelrolle auf den Leib geschneidert hatte, warf angesichts der enormen Schwierigkeiten das Handtuch.Der Heldenmut der an ihrer Stelle eingesprungenen Emily Golden stand dem der punischen Prinzessin nicht nach.

Warum sich die Regisseurin Francesca Zambello nach der Premiere nicht dem begeisterten Applaus stellte, blieb unklar.Von anderen Gelegenheiten kennen wir ihre Neigung, Opern ein feministisches Konzept überzustülpen.Hier hatte sie endlich einmal Anlaß dazu, und sie hat ihn, ohne allzu dick aufzutragen, genutzt.Auch sie und ihr spartanischer Bühnenbilder Robert Israel konnten freilich nicht verhindern, daß das Schlußtableau mit Hamilkars in Reih und Glied angetretenen Soldaten wirkte wie ein singendes Völkerschlachtdenkmal.Ursprünglich hatte Fénélon beabsichtigt, die Soldaten stumm aufmarschieren zu lassen.Aber das hätte nach dem Tarifvertrag bedeutet, daß der Chor Anspruch auf ein zweites Honorar als Komparsen gehabt hätte.So komponierte er denn die tarifrechtlich relevanten Takte nach.

JÖRG VON UTHMANN

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