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Kultur: Eine Religion wie jede andere

Am Anfang muss es Bang machen: Britpop-Altstar Paul Weller über Motorroller, Mods und Musik

Mister Weller, wissen Sie, wie viele Konzerte Sie schon gegeben haben?

Keine Ahnung. Tausende.

Ihren ersten Auftritt sollen Sie mit 14 Jahren gehabt haben, in einem „Working Men’s Club“ in Woking bei London, wo Sie auch geboren wurden.

Wir waren zu zweit, mein Freund Steve und ich, wir spielten an einem Mittwochabend. Unser Auftritt dauerte zwanzig, dreißig Minuten. Das Programm bestand aus Cover-Versionen: Beatles-Songs, Motown-Kram, Rock’n’Roll von Chuck Berry. Alles, was man draufhaben kann, wenn man nur drei Akkorde auf der Gitarre beherrscht. Das Publikum bestand aus sechs Personen. Aber es war trotzdem ein guter Ort, um anzufangen.

Nach diesem Triumph wussten Sie, dass Sie Pop-Star werden wollten?

Ein Triumph? Ich bitte Sie: In dem Club saßen sechs Männer, die müde klatschten. Aber Steve und ich hatten vorher schon ein anderes Konzert gegeben, während der Mittagspause in unserer Schule. Wir spielten im Musik-Saal, das Publikum bestand ausschließlich aus Mädchen. Das war mein Erweckungserlebnis, danach wusste ich: Rock’n’Roll ist ein fucking good job . Also gründete ich mit meinem Kumpel Steve Brooks The Jam.

Ist es denn tatsächlich so aufregend, ein Pop-Star zu sein, wie Sie es sich als Schüler ausgemalt haben?

Ich sehe mich nicht als Pop-Star. Ich bin Musiker, Songwriter, Künstler, meine Arbeit hat mit Handwerk zu tun. Pop-Stars kommen und gehen, ich bin seit dreißig Jahren da.

Wir sitzen in einem Backstageraum im Hamburger Stadtpark. Der Soundcheck ist vorbei, noch vier Stunden bis zum Konzertbeginn. Wie schrecklich ist die Tour-Routine, das ewige Zeittotschlagen?

Es gibt nichts Langweiligeres und Hirnerweichenderes als den Alltag eines Musikers. Man stellt sich Rock’n’Roll wild und glamourös vor. Aufregend ist aber nur eines: der Moment, in dem du zu spielen anfängst.

Schon mal daran gedacht, keine Konzerte mehr zu geben?

Heute morgen noch, als ich im Hotelbett aufwachte.

Haben Sie schon beim Soundcheck ein Gefühl dafür, wie der Abend wird?

Nein. Du kannst dir das Beste vornehmen und beim Soundcheck vom Saal und seinem Klang begeistert sein und dann nachher trotzdem ein Konzert spielen, das völlig misslingt. Andersrum: Ich habe schon an den beschissensten Orten die fantastischsten Gigs gegeben. Da gibt es kein festes Muster, es kommt auf den Abend an, darauf, wie du dich fühlst und wie die Zuhörer sich fühlen, und darauf, ob aus diesem Zusammentreffen etwas Tolles entsteht – oder eben nicht. Egal wie lange man probt, das kann man nicht planen. Erst wenn du den Fuß auf die Bühne setzt, entscheidet sich, ob das Konzert gelingt.

Gibt es eine feste Playlist für die Konzerte?

Nein. Wir haben nur eine Art Struktur, in der wir jeden Abend den Ablauf ändern. Mit meiner aktuellen Band, Steve Cradock an der Rhythmusgitarre, Damon Minchella am Bass und Steve White an den Drums, habe ich fünfzig Songs geprobt, die können wir jederzeit abrufen. Am Anfang eines Konzerts muss es Bang machen, wir spielen einige schnelle Songs, dann kommt ein eher ruhiger Mittelteil, in dem auch Platz ist für das eine oder andere längere Solo. Und am Ende muss es dann noch mal richtig knallen.

Was vermissen Sie am meisten, wenn Sie auf Tour sind?

Meine fünf Kinder und mein Bett.

Was ist mit Ihrer berühmten Kollektion von Motorrollern, vermissen Sie die auch?

Die Sammlung gibt es nicht mehr, ich habe alle meine Roller für Charity-Versteigerungen weggegeben. Ein paar Mal war ich danach kurz davor, mir eine neue Maschine zu kaufen. Aber dann dachte ich, dass ich ja schon 48 bin, zu alt, um auf einem Roller durch die Welt zu fahren.

Hört man ohne Motorroller nicht auf, ein Mod zu sein?

Never ever. Ich war Mod, ich bleibe Mod. Das ist eine Sache, die tief in mir drin ist, in meinem Blut.

Was heißt das überhaupt: Mod zu sein?

Ich würde gar nicht erst versuchen, Mod-Sein zu definieren. Es ist undefinierbar. Es ist ein Stil, eine Haltung, ein Code, eine Kultur, aber das sind alles nur Begriffe, die den Punkt nicht wirklich treffen. Populär wurde das Mod-Ding durch Bands wie die Who, die Kinks oder Creation in den sechziger Jahren. In den siebziger Jahren gab es dann eine neue Welle, zu der auch wir mit den Jam gehört haben. Es gibt immer neue Generationen, die aus dem Mod-Ding etwas Eigenes, Neues machen. Es ist eine Art, die Welt und das Leben zu sehen, wie jede andere Religion auch. Wie Rock’n’Roll. Rock’n’Roll kann man nicht definieren, aber wir alle glauben dran.

Angeblich haben Sie Anfang der siebziger Jahre beschlossen, Mod zu werden, als Sie ein Foto des Small-Faces-Sängers Steve Marriott sahen.

Kann schon sein, Marriott war ein extrem cooler Typ. Mod zu sein ist etwas sehr Englisches, schwer, das einem Kontinentaleuropäer zu erklären. Als ich in den Sechzigern aufwuchs, waren die älteren Jungs in meiner Umgebung Mods. Anfang der siebziger Jahre gab es dann diese frühe, linke Skinhead-Szene, die einen ähnlichen Stil benutzte. Die trugen dieselben Klamotten, angefangen mit den Fred-Perry-Shirts. Das hat mich geprägt, mit diesen Vorbildern wurde ich groß. Lange waren Mods ein insuläres englisches Phänomen, aber in den letzten Jahren ist es größer und größer geworden, eine globale Mode, ein globales Bewusstsein.

Auf Ihrem neuen Live-Album „Catch-Flame!“ spielen Sie Stücke von Ihrer letzten Studio-Platte „As Is Now“, ein paar Style Council-Songs und „That’s Entertainment“ von The Jam. Warum nicht auch den größten Jam-Hit „Going Underground“?

Es gibt Songs, die ich einfach nicht mehr spielen kann, weil es mir nicht mehr gelingt, eine emotionale Bindung zu ihnen herzustellen. Das heißt nicht, dass ich „Going Underground“ nicht mehr mögen würde, ich bin stolz darauf, ihn geschrieben zu haben. Nur: damals war ich nicht einmal 20 Jahre alt, heute fällt es mir schwer, mich in die Wut von damals zurückzuversetzen. Es ist schwer, überzeugend einen Song zu singen, der nicht in deinen gegenwärtigen emotionalen Zustand passt.

Was war das beste Konzert, das Sie je besucht haben?

Die Wings 1973 im Hammersmith Odeon in London. Sie hatten gerade den Soundtrack für den James-Bond-Film „Live And Let Die“ veröffentlicht, es war ihre beste Zeit. Ich stand auf der Galerie, sehr weit hinten im Saal, und der Sound hat mich fast weggeblasen. Vor zehn Jahren habe ich mit Paul McCartney „Come Together“ aufgenommen, für eine Charity-Platte. Im Abbey Road Studio. Mit meinem Idol im Beatles-Studio einen Beatles-Song einzuspielen, das war das Allergrößte. Fucking great!

Interview: Christian Schröder

Paul Weller , 48, gehört zu den erfolgreichsten britischen Popmusikern der letzten dreißig Jahre. Der Taxifahrersohn, der im Arbeitermilieu eines Londoner Vorortes aufwuchs, gründete 1975 die Neo-Mod-Band The Jam , die mit Hits wie „Eton Rifles“ und „Going Underground“ fast so viele Platten verkaufte wie die Beatles.

Mit seiner nächsten Band The Style Council wandte sich Weller dem Soul und Barjazz zu. 1990 löste er die Gruppe auf, seither hat der als „Uncle of Britpop“ verehrte Sänger und Gitarrist acht Solo-Studioalben veröffentlicht.

Gerade ist seine Doppel-Live-CD Catch-Flame! (V2 Records) erschienen.

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