zum Hauptinhalt

Kultur: Eine Teufelsaustreibung

Speer und ich: Zwei Ausstellungen arbeiten sich an der NS-Gigantomanie ab

Kulissen für menschliche Ameisen. Die endlose Aneinanderreihung des Ewiggleichen. Symmetrien und Zentralperspektiven zur Einschüchterung. Baumasse und Macht. Das sind die Merkmale einer Architektur, die durch einen Namen symbolisiert wird: Albert Speer.

Man meint beides zu kennen bis zum Überdruss: Hitlers Leib- und Hofarchitekten, den „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI) und Rüstungsminister des „Dritten Reiches“, der 1969 mit seinen „Erinnerungen“ das perfideste, weil scheinbar reumütige Rechtfertigungsbuch eines Nazibonzen publiziert hat. Und die Monumentalbauten für Berlin und Nürnberg, an deren Realisierung unter Speers Leitung bis weit in den Krieg hinein gearbeitet worden ist. Architektonischer Größenwahn eines Diktators, der gern Architekt geworden wäre, und eines Architekten und Baubürokraten, der für seine 1400 Mitarbeiter in der allein Hitler unterstellten Behörde des GBI einen Staat im Staate geschaffen hatte.

Zwei Ausstellungen nähern sich derzeit dem Phänomen Speer – von konträren Ausgangspunkten. Der Verein Berliner Unterwelten, der sich in den neunziger Jahren um die Erforschung der unterirdischen Hinterlassenschaften des NS-Regimes rund um die ehemalige Neue Reichskanzlei verdient gemacht hat, zeigt in einem Pavillon vis-à-vis des Holocaust-Mahnmals die Ausstellung „Mythos Germania“. Es geht um Speers Hauptstadtplanung, von der repräsentativen Nord-Süd-Achse mit Triumphbogen, Führerpalast und der 300 Meter hohen „Großen Halle“ für 180 000 akklamierende „Volksgenossen“ bis zur Konzeption hochmoderner – folglich auch nach 1945 vorbildlicher – Autobahn- und Eisenbahntrassen. Die Ausstellung bietet trotz ermüdender Kleinteiligkeit nichts wirklich Neues, fasst jedoch den Forschungsstand der letzten zwei Jahrzehnte mit Anstand zusammen.

In Neuhardenberg, wohin Speer 1943 mit seinem Berliner Planungsstab umzusiedeln plante, stellt Florian Havemann zwei Serien von Bildern und Collagen aus: zu Rosa Luxemburg und eben Albert Speer. Für Havemann, den Multikünstler und brandenburgischen Verfassungsrichter, der zuletzt mit seinem vom Suhrkamp-Verlag zurückgezogenen Familienroman „Havemann“ für Schlagzeilen sorgte, für Havemann also ist ausgerechnet dieser Albert Speer zu einer Art Alter Ego geraten. Identifikation mit einem Obernazi: Darf man das? Und vor allem: Darf man es so?

Anders als etwa der britische Romancier und Journalist Robert Harris, der in seinem Historienthriller „Fatherland“ von der Hypothese ausgeht, dass Hitler den Krieg gewonnen und Speer in Berlin sein „Germania“ gebaut hätte, interessiert Havemann keineswegs die Frage: Was wäre wenn? Auch nicht: Was war? Sondern, darin ganz Post-68er: Was macht es mit mir? Was ihn umtreibt, sind schmerzhafte – man könnte auch sagen: masochistische – biografische Parallelisierungen zwischen ihm, dem Sohn des Wiederstandskämpfers gegen das NS-Regime und späteren DDR-Bürgerrechtlers Robert Havemann, und Speer, dem in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher.

Havemann arbeitet seit zwei Jahrzehnten an einem Theaterstück über Speer. Sich selbst sieht er als Gesamtkunstwerker, „geeignet auch deshalb für dieses Projekt, weil wie Speer der zweite Sohn eines Vaters, um dessen Aufmerksamkeit zu kämpfen ist, der seinen Erstgeborenen so sehr bevorzugt. Die gleichen Antriebe, das gleiche Problem auch eines Begabten, der in seiner Begabung nicht festgelegt ist (...). Geeignet doch auch wegen des Gefängnisses, in dem auch ich gesessen habe – wenn auch nur vier Monate, nicht die 20 langen Jahre Speers, aber gereicht hat es mir fürs Leben. Ich bin ein Projektemacher, Speer war ein Projektemacher, und ein Projekt zu machen, das ist etwas anderes, als zu malen, zu schreiben, Bauten zu entwerfen, Theater zu machen.“

In solchen Zeilen erfährt man viel, allzu viel über Florian Havemann, den Sohn des DDR-Dissidenten Robert Havemann. Und enttäuschend wenig über Speer. Hilflos erscheinen auch Havemann juniors Zeichnungen, die sich, theatralisch bühnenmäßig, an Speers ästhetischen Tricks abarbeiten: an der effektvollen Reihung von Pfeilern und Fahnen, dem Ausleuchten des Nachthimmels durch Flakscheinwerfer. Eine beinahe tragische Versuchsanordnung.

Die in Speers Namen in die Welt gesetzte – und zum Glück größtenteils nicht gebaute – Architektur bleibt für die Nachwelt besser dokumentiert: in Modellfotos, Büchern, Filmen – wie es in der Ausstellung „Mythos Germania“ geschieht. Speer, der Architekt und Künstler (so sah er sich selbst am liebsten), bietet für uns Nachgeborene nichts wirklich Mythisches mehr. Dass eine gewisse Faszination bleibt – wider besseren Wissens –, hat mit einer Architektur des Alles-ist-möglich zu tun. Sie beeindruckt noch immer und zieht intelligente Köpfe an. Das demonstrieren die aktuellen Großprojekte in China oder den arabischen Golfstaaten.

Speers Hybris bewegt sich, selbst wenn man die Rahmenbedingungen seiner Architektur außer Acht lassen könnte, auf gänzlich anderem Niveau. Sie ist der perfekte, weil ästhetisch ausformulierte Ausdruck von Staatsterror. Sich ihr zu stellen, da hat Havemann schon recht, muss eine Auseinandersetzung mit Speers Ästhetik einschließen. Selbst wenn es heute zum Lachen ist, sich Hitler und Speer als Filmfiguren in Bernd Eichingers „Der Untergang“ oder Heinrich Breloers „Speer und Er“ mit leuchtenden Augen über die Modelle beugen zu sehen. Das Bild der beiden in Jugendträume versunkenen Kriegsherren ist so fesselnd wie grotesk. Noch immer geht es um Teufelsaustreibung.

Dagegen steht die nüchterne Perspektive der Historiker. Das wissenschaftliche Interesse an Speers Rolle im Terrorregime des „Dritten Reiches“ ist ungebrochen. Er war nicht nur bis zu seinem Tod 1981 der letzte maßgebliche Zeitzeuge aus der unmittelbaren Entourage des „Führers“, sondern hat vor allem bis zuletzt ein Bild von sich gezeichnet, das auf systematischen Lügen aufbaute. In den letzten Jahren konnten Historiker nachweisen, dass Speer nicht nur vom Holocaust gewusst haben muss, sondern mit seiner GBI-Behörde eine treibende Kraft bei der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern sowie bei der Entrechtung, Vertreibung und Deportation von 45 000 Berliner Juden gewesen ist.

Heute weiß man: Speer, der nach seiner Haftentlassung 1966 gern den Großbürger und Gentleman-Nazi gab, war ein Zyniker, bis zuletzt. Dem langjährigen Vertrauten und Überzeugungsnazi Rudolf Wolters, der sich empört über die Geschichtsklitterung der „Erinnerungen“ zeigt, antwortet er, auf das Nürnberger Urteil anspielend: „Durch meine Totalerklärung umfassender Verantwortung ist bei mir wohl alles inklusive.“

Irritierend bleibt, dass so bedeutende konservative Intellektuelle wie Joachim Fest als Redakteur der „Erinnerungen“ und Wolf Jobst Siedler als deren Verleger auf Speers angebliche Gedächtnislücken hereingefallen sind. Die „Erinnerungen“ wurden zum Bestseller, weil sie vorgaben, das deutsche Bildungsbürgertum kollektiv von einer Mitschuld zu entlasten. Speers Strategie fiel in der Phase der großen Verunsicherung um 1968 auf fruchtbaren Boden. Von Speer zu lernen, heißt viel – auch über die Geschichte der Bundesrepublik – zu lernen.

Ausstellung „Mythos Germania“, bis 31. Dezember, Ausstellungspavillon Gertrud-Kolmar-Straße 14, Berlin-Mitte. Ausstellung Florian Havemann „Rosa/Speer Bilder“, bis 29. Juni, Stiftung Schloss Neuhardenberg, Katalog 12,80 Euro.

Zur Startseite