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Kultur: Eine Überdosis Weiblichkeit

Die Situation ist vertraut: Eine Journalistin interviewt einen Filmstar.Und erfährt im Gespräch - die beiden Frauen verstehen sich auf Anhieb - mehr, als sie wissen und vor allem schreiben darf.

Die Situation ist vertraut: Eine Journalistin interviewt einen Filmstar.Und erfährt im Gespräch - die beiden Frauen verstehen sich auf Anhieb - mehr, als sie wissen und vor allem schreiben darf.Dilemma des Berufes: Die ständige Gradwanderung zwischen Einfühlung und Enthüllung.1976, als Alice Schwarzer Romy Schneider für die erste Titelstory der neugegründeten EMMA befragte, entschied sie sich zur Zurückhaltung.Zurückhaltung, um diese Frau, die Journalisten gegenüber so unvorsichtig offen und dabei so offensichtlich verletzbar war, zu schonen."Ich hätte eigentlich viel mehr über Dich zu sagen, aber ich will das nur mit Deinem Einverständnis tun" schrieb sie der Schauspielerin, die in dieser langen Interviewnacht fast zur Freundin geworden war.

Heute, 16 Jahre nach dem Tod der Frau, die der Klatsch-Journalist Will Tremper in einem boshaften Artikel schon 1964 "am Rande des Selbstmordes" zeichnete, sagt Schwarzer mehr.Mehr über Romys Alkohol- und Tablettenkonsum, über ihre Bisexualität, ihre Depressionen.Mehr vor allem über ein Thema: "Romy und die Männer".Sie schreibt über Romys Mißbrauch durch ihren Stiefvater Hans Herbert Blatzheim, über den Macho Alain Delon, von dem "das deutsche Mädchen Rosemarie" lange nicht begriff, "in wessen Hände sie da geraten ist".Über den "herrischen, grausamen" Luchino Visconti, dessen Diktat Romy sich sofort willig unterwirft.Über Harry Meyen, der sie als "apolitisches Dummchen" behandelt.Und über Daniel Biasini, den neun Jahre jüngeren zweiten Ehemann, der sie "ausnimmt nach Strich und Faden".

Nicht umsonst hatte Alice Schwarzer Romy 1976 als Galionsfigur ihrer Frauen-Zeitschrift gewählt.Nicht umsonst kommt sie heute mit ihrem Buch "Romy Schneider.Leben und Mythos" noch einmal auf sie zurück.Weil Romy, diese ängstliche, depressive Frau, wie geschaffen ist zur Märtyrerin der Frauenbewegung."Nein, sie hat sich nicht umgebracht, aber - sie hat sich umbringen lassen" lautet die These der Feministin über den frühen Tod Romys."Eine Überdosis Weiblichkeit" diagnostiziert sie in Romys fatalen Hang zu starken Männern, in deren Gegenwart sie sich klein und schwach macht.

Eine Diagnose, die zutrifft, gewiß.Ein trauriges, ein treffendes Buch daher.Eines, das sich wegliest in zwei schnellen Stunden.Und das so etwas wie Unwillen zurücklässt: Nicht nur auf die Männer im allgemeinen, denen es Romy so leichtmachte, ihr übel mitzuspielen.Sondern auch auf die Autorin, die bei allem Mitgefühl nicht entschuldigt, sondern entlarvt.Und dabei zuweilen den Ton trifft, in dem seit jeher die Illustrierten dieser Erde wie "Stern", "Bunte", "Quick", "Paris Match" über Romy hergezogen sind.Der Blick auf das Privatleben ist nicht schonender und diskreter, weil er zornig auf Unrecht schaut.Eine bittere Pille für den Feminismus.

Außen vor in der Biographie bleiben Romys Filme.Womit das Besondere dieser Schauspielerin wieder einmal zu kurz kommt, jene Unbedingtheit der Darstellung, die nicht zwischen Leben und Spiel unterscheidet.Claude Sautet, der fünf Filme mit Romy drehte und für sie wurde, was Josef Sternberg für Marlene Dietrich war, schrieb über seinen Star: "Sie spielt total, als wäre es ihr eigenes Leben".Diese französischen Filme der siebziger Jahre, sonst selten bis nie zu sehen, zeigen ein anderes Romy-Bild als die frühen "Sissi"-Schnulzen: Das Bild der alles verstehenden, reifen Frau, das sie in Frankreich sofort und in Deutschland bis heute nicht berühmt machte.

Nun, zum 60.Geburtstag, feiern zwei Berliner Kinos die Künstlerin mit Retrospektiven.Wobei sich das Babylon Mitte in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum Potsdam ganz auf die französische Periode konzentriert: "Die Dinge des Lebens" (22.und 24.10.) mit Michel Piccoli als Mann zwischen zwei Frauen, "Eine einfache Geschichte" (23.und 27.10.) oder "César und Rosalie" mit Yves Montand (20.und 23.9.) zeigen Romy nach Sautet als "moderne Frau, die sanft und aggressiv, stark und verletzlich, unabhängig und abhängig zugleich ist." "Schornstein Nr.4" (22.9.) nach einer Vorlage von Marguerite Duras schildert den Kampf einer Mutter um ihr Kind.In "Abschied in der Nacht / Das alte Gewehr" (24., 25., 27.9.) wird Romy das Opfer von SS-Soldaten und spielt diese Vergewaltigungsszene so eindringlich, daß Schwarzer daraus Rückschlüsse auf eine Vergewaltigung durch Romys Stiefvater Blatzheim zieht.

Das vor einem Monat wiedereröffnete Kino "Notausgang" steuert noch bis Mittwoch weitere Romy-Filme bei: "Christine" zum Beispiel, Schnitzlers "Liebelei", die schon Marcel Ophüls mit Romys Mutter Magda Schneider verfilmte.Pierre Gaspard Huits weniger gelungener französisches Remake von 1958 bleibt vor allem deshalb in Erinnerung, weil es der erste Film ist, in dem Romy gemeinsam mit Alain Delon vor der Kamera steht.In der Gesellschaftssatire "Das wilde Schaf" (20.und 22.9.) erliegt sie den Verführungskünsten eines kleinen Bankangestellten (Jean-Louis Trintignant).Und in Claude Millers Krimi "Verhör" (20., 21., 23.9.im Notausgang, 10.und 11.10.im Babylon Mitte) steht sie als mysteriöse Fremde wieder einmal an der Seite Michel Piccolis.

Die ungewöhnlichste Entdeckung aber machte das Filmmuseum Potsdam während der Vorbereitungen zur seiner Ausstellung "Mythos Romy Schneider": Ein viertelstündiges Fragment aus Henri-Georges Clouzots unvollendetem Film "Die Hölle" von 1964, in dem durch Kameraexperimente, Unschärfen und Spiegelungen Romys rätselhaftes Gesicht gleichzeitig skelettiert, verzerrt und vernebelt wird.Beweis für die Unmöglichkeit der Annäherung an einen Mythos.

Heute um 11 Uhr 30 liest Katja Riemann in der Berliner Akademie der Künste aus Alice Schwarzers Romy-Schneider-Biographie.Die Ausstellung "Mythos Romy Schneider" ist noch bis 15.November dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr im Filmmuseum Potsdam zu sehen.

Christine, Regie Pierre Gaspard-Huit: Heute, 18 Uhr, 21.9., 22 Uhr 30, Notausgang

Das Verhör, Regie Claude Miller: Heute, 20 Uhr 15, 21.9., 18 Uhr, 23.9., 20 Uhr 15, Notausgang, 10.und 11.10., Babylon

Das wilde Schaf, Regie Michel Deville: Heute 22 Uhr 30, 22.9., 18 Uhr, Notausgang

Nachtblende, Regie Andrzej Zulawski: 21.9., 20 Uhr 15, 22.9., 22 Uhr 30, 23.9., 18 Uhr, Notausgang, 1., 2., 6.10., Babylon

Der gekaufte Tod, Regie: Bertrand Tavernier: 22.9., 20 Uhr 15, 23.9., 22 Uhr 30, Notausgang

César und Rosalie, Regie Claude Sautet: Heute und 23.9., Babylon

Schornstein Nr.4, Regie Jean Chapot: 22.9., Babylon

Eine einfache Geschichte, Regie Claude Sautet: 23.und 27.10., Babylon

Die Dinge des Lebens, Regie Claude Sautet: 22.und 24.10.Babylon

CHRISTINA TILMANN

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