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Kultur: Eine verhängnislose Affäre

Endstation Vorstadt: Todd Fields erkundet in „Little Children“ Biotope der Normalität

Als der Hauptdarstellerinnen-Oscar unlängst erwartungsgemäß an die „Queen“ Helen Mirren ging, schwenkte die Kamera auf Kate Winslet – und erwischte sie bei einem äußerst verkrampften Lächeln. Aber Schauspieler kriegen den Oscar nun mal meist für die größte Verwandlungsleistung, nicht fürs subtilste Spiel. Tatsächlich verkörpert sie die desinteressierte, kühle Vorstadtmutter in „Little Children“ so beunruhigend überzeugend, dass man ihre Tochter sofort adoptieren möchte. Wenn sie als Sarah auf dem Spielplatz sitzt, mürrisch und ein wenig abseits von den anderen Müttern, in blassfarbige Blümchenblusen und Latzhosen gekleidet, dann verströmt sie aus jeder Pore passiven Widerstand gegen ihr Schicksal.

Plötzlich aber ändert sich alles: Brad, ein junger, anscheinend alleinerziehender Vater taucht auf. Die Mütter geraten aus dem Häuschen: ein so schöner Mann, so liebevoll mit seinem Sohn und offenbar so allein! Seitenblicke, Tuscheln – und auf einmal schlägt Sarah vor, sie werde ihm seine Telefonnummer abluchsen. Unsicher geht sie auf ihn zu, brabbelt eine Belanglosigkeit, doch die Begegnung endet in einem Kuss. Viel später wird er zu einer Affäre führen – da haben die beiden Kinder längst Freundschaft geschlossen und die Erwachsenen haben ganze Nachmittage am Schwimmbeckenrand verplaudert – ihrer Aufsichtspflicht so gut wie enthoben.

Ereignislos und unromantisch ist das Leben in der Schlafstadt; anfangs inszeniert Todd Field seinen Film „Little Children“ fast wie eine soziologische Studie, garniert mit ironischen Kommentaren seiner Protagonistin aus dem Off. Auch die Affäre ist eher Zeitvertreib als Leidenschaft – eher Rache an Brads beruflich stark engagierter Frau und Sarahs vor dem Computerbildschirm onanierendem Mann. Brad und Sarah erklären ihre Affäre zur großen Liebe, um sich vom Mittelstandselend abzusetzen – und wissen doch nur zu genau, dass auch Seitensprünge dort innerhalb der Normen liegen, ein bisschen moralische Entrüstung hin oder her.

In einer großartigen Szene diskutiert ein Hausfrauenzirkel „Madame Bovary“ und entrüstet sich über die berühmte Ehebrecherin des 19. Jahrhunderts; Verdächtigungen ersticken die Atmosphäre. Oder ein anderes Beispiel unaufgeregter Inszenierungskunst: Im Schwimmbad zerren Mütter ihre Kinder aus dem Wasser, als ein durch Plakate der Bürgerwehr als Pädophiler angeprangerter Nachbar im Becken erkannt wird. Plötzlich hat er den Pool für sich und wird von einer Meute gluckender Frauen in Bikinis angestarrt: ein Opfer, kein Täter.

Todd Field beobachtet und erzählt nach dem Muster von „Magnolia“ oder „L. A. Crash“: nebeneinanderher geführte Figuren begegnen sich an bestimmten Punkten, abstruse Charaktere wie der Bürgerwehr-Mann Larry, der um Brads Freundschaft buhlt und immer das Falsche tut. Oder der sexuell beträchtlich gestörte Ronnie mit seiner Mutter, der ein guter Sohn sein möchte und ohne ihren Schutz nicht lebensfähig ist. Oder Brads Schwiegermutter, die auf ihn aufpassen soll, nachdem seine Frau wegen Sarah Verdacht geschöpft hat. Und doch, ob Sex auf der Waschmaschine, Footballmatches, nächtliche Saufgelage unter Männern: Alle Beziehungen sind unverbindlich und schal.

Diese Oberflächlichkeit menschlicher Beziehungen inszeniert Todd Field, der schon mit seinem Debüt „In the Bedroom“ (2001) beeindruckte, bedrängend präzis; es erscheint letztlich gleichgültig, ob Sarah und Brad es schaffen, miteinander durchzubrennen und woanders ein neues Leben aufzubauen, mit oder ohne Kinder. Schade nur, dass „Little Children“ am Schluss seine beiläufige Distanziertheit aufgibt. Der spektakuläre Showdown ist bloß hysterisch.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Colosseum, Filmpalast, FT Friedrichshain, Passage; OV im Cinestar Sony-Center

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