zum Hauptinhalt

Kultur: Einmal alles niedertrampeln

Warum es in Berlin keine Monster gibt: Horrorfilm-Regisseur Jörg Buttgereit über sein Japan-Buch

Herr Buttgereit, Sie sind 42 Jahre alt und immer noch Fan japanischer Monsterfilme. Sind Sie nicht raus aus dem Alter?

Ich bin mit diesen Filmen aufgewachsen. Bin ja schon mit vier Jahren ins Kino, hier in Schöneberg, ins Odeon, jeden Sonntag um 14 Uhr zur Jugendvorstellung. Damals, als Kinder, haben wir uns noch vor Godzilla gegruselt. Aber wir verstanden nicht, warum die Menschen in den Filmen Schlitzaugen hatten und sich die Schuhe auszogen, wenn sie ein Haus betraten. Als die Japaner in den Neunzigern dann wieder Godzilla-Filme drehten, war ich hingerissen. Die drehten nicht digital. Nein, da steckte immer noch ein Mann im Gummikostüm und trampelte auf einem Modell von Tokio herum.

Und Sie haben einen Führer durch das japanische Monsterfilmgenre geschrieben.

Schon kurios, dass ein Berliner das machen musste. Aber den Japanern sind die Filme peinlich. In Wirklichkeit rühren sie an ihre nationalen Traumata. Godzilla von 1954 war eine Metapher für die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Godzilla wird da durch die amerikanischen Atombombentests im Pazifik aus seinem Tiefschlaf geweckt, watet nach Japan und zerstört Tokio. Doch die Japaner besiegen ihn mit einer Wunderwaffe, die noch schrecklicher ist als die Atombombe. Deshalb zerstören sie – klug wie sie sind – die Baupläne der Waffe.

Godzilla ist halb Dinosaurier, halb Drache, bewegt sich wie ein Mensch und spuckt einen radioaktiven Feuerstrahl. Was ist er denn nun?

Das weiß keiner. Er ähnelt einem Tyrannosaurus Rex, hat aber Menschenarme, weil ein Stuntmen im Kostüm steckte. Und sein japanischer Name Gojira setzt sich aus den japanischen Worten für Gorilla und Wal zusammen.

Mit der Zeit wandelt Godzilla sich zum Verteidiger Japans. Wie wurde aus dem bösen ein gutes Monster?

Zunächst einmal bedeutet der japanische Genre-Begriff ,Kaiju Eiga‘ nicht Monster, sondern großes Wesen. Godzillas Wandlung beginnt, als die Produktionsfirma Toho merkt, dass die Kinder mit Godzilla sympathisieren. Also stellen sie ihn freundlich dar. Als dann Außerirdische Japan bedrohen, solidarisiert sich Godzilla mit den Menschen. In einigen der 28 Filme erledigt Godzilla sogar Aufgaben wie Müllbeseitigung, oder er kämpft gegen ein Smogmonster. Es werden reale Bedrohungen verhandelt. Erst die atomare, dann die Angst vor der Umweltverschmutzung.

Aber als die Godzilla-Reihe wieder aufgelegt wurde, hatten diese Bedrohungen ihren Schrecken verloren.

Daher wird Godzilla in den Neunzigerjahren zu einem Synonym für Naturkatastrophen wie Taifune und Erdbeben. Die Japaner behandeln ihn wie einen, mit dem man auskommen muss. Godzilla ist die Micky Maus Japans geworden.

Aktuelle Ängste werden eher von Selbstmordattentätern ausgelöst.

Die Japaner reagieren hilflos auf diese Gefahr. Die Produktionsfirma Toho hat gerade einen zehnjährigen Produktionsstopp angekündigt, weil die letzten Godzilla-Filme nicht gut ankamen. Der tatsächliche Schrecken sind die Menschen selbst geworden. Der Monsterfilm wirkt vor diesem Hintergrund wie die Flucht in eine heile Welt. Godzilla wird zwar auf Tokio herumtrampeln. Aber er ist berechenbar und kann gebändigt werden.

Warum trampelt denn nie ein Monster auf Berlin herum?

Weil hier keine Naturkatastrophen passieren, und uns nie etwas so Gewaltiges wie eine Atombombe auf den Kopf gefallen ist. Wir suchen das Grauen in uns selbst, weil wir ein latent schlechtes Gewissen wegen des Holocausts haben. In Deutschland werden Filme über den Kannibalen von Rothenburg gemacht. Das hat Tradition. Wir mögen bösartige Psychomonster wie Nosferatu, die Japaner gutmütige Riesenmonster wie Godzilla.

Viele Filmkritiker halten die japanischen Filme wegen ihrer Machart schlicht für Trash.

Das zeugt von Unkenntnis der japanischen Auffassungen von Ästhetik. Kennen Sie das No-Theater? Während der Aufführungen werden dort Kulissen auf die Bühne geschoben. Aufgrund ihrer kulturellen Vorgeschichte akzeptieren die Japaner viel eher Filme, die ihre Machart nicht verschweigen.

Aber müssen sie so hölzern wirken?

Das nehmen wir wegen unserer amerikanisierten Sehgewohnheiten so wahr. In Japan ist das teilweise noch anders. Dort empfindet man Künstlichkeit als etwas Schönes und hält das Realistische für langweilig. Godzilla wird bis heute von Menschen gespielt, die sich nicht wie Dinosaurier bewegen. Sie haben aber interpretatorische Freiheit und können auf dem Set zerstören, was sie wollen. Und sie werden von echten Miniatur-Raketen beschossen. Wegen dieser Strapazen kippten früher selbst trainierte Stuntmen im Godzilla-Kostüm einfach um.

Das konnte in Roland Emmerichs Adaption von 1998 nicht passieren.

Der Film ist seelenlos. Alles ist am Computer entstanden. Emmerich ignoriert die Tradition des Monsters. Der Film verhöhnt Godzilla.

Interview: Philipp Lichterbeck

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false