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Kultur: Einsam für alle

Ikonen Amerikas: die Londoner Tate Modern zeigt eine Retrospektive des Malers Edward Hopper

Natürlich bilden sich vor dem Gemälde „Nighthawks“ die dichtesten Besuchertrauben in der Tate Modern. Das Londoner Museum, seit der Eröffnung im Frühjahr 2000 ohnehin auf Platz eins der Publikumsgunst, steuert mit der Retrospektive des amerikanischen Malers Edward Hopper (1882 – 1967) auf einen weiteren Besucherrekord zu. Doch die durch unzählige Poster verbreitete Hopper-Manie, die sich neben den „Nachtfalken“ noch auf zwei, drei weitere Motive des Malers stützt, beruht auf einem Missverständnis. Hopper ist eben nicht der Illustrator gängiger Amerika-Klischees (auch wenn er, Ironie des Schicksals, anfangs den Brotberuf des Zeitungsillustrators ergreifen musste), sondern ein herausragender Maler des 20. Jahrhunderts – einer, der zeitlebens künstlerische Probleme zu bewältigen suchte.

Gegen das landläufige Hopper-Missverständnis kämpft die Londoner Ausstellung an, auch wenn sie ihm, was die Präsentation ihrer Glanzstücke angeht, Tribut zollen muss. Die „Nighthawks“, jenes Kultbild eines New Yorker Nachtcafés und seiner schlaflosen Gäste, beansprucht einen eigenen Saal innerhalb der mit rund 80 Werken überschaubar gehaltenen Ausstellung. Würden die Besucher, die andächtig vor dem 1942 gemalten Breitformat verharren – mit 84 mal 152 Zentimetern eine der größten Leinwände im Gesamtwerk –, die Rückwand des Saales betrachten, so könnten sie an den dort versammelten Zeichnungen den ungemein sorgsamen Entstehungsprozess der Hopperschen Kompositionen erkennen. Noch zu zwei, drei weiteren Schlüsselwerken hat Kuratorin Sheena Wagstaff Vorstudien hinzugefügt, um die Arbeitsweise Hoppers zu erläutern.

Bei „Office at Night“ von 1940, jener gleichfalls ins kollektive Bildergedächtnis eingesunkenen Szene verdeckter erotischer Spannung in einem nächtlichen Büro, wird deutlich, dass Hopper keineswegs vorhandene Realität wiedergibt, sondern seine unendlich geduldigen Beobachtungen zu ausgefeilten Kompositionen verschmilzt. Hopper war ein Ateliermaler wie die Großen vor ihm, die er bewunderte, etwa Rembrandt, dessen Helldunkeltechnik er verpflichtet ist.

Der Motive wegen, die er aus seinem eng umgrenzten Lebenskreis – winters in seiner Atelierwohnung am New Yorker Washington Square, sommers auf Cape Cod – bezog, wurde Hopper in den dreißiger Jahren, als er im Alter von immerhin schon über 50 seine eigentliche Karriere begann, den Malern der „American Scene“ zugerechnet. Unter diesem Sammelbegriff fanden sich alle wieder, die die europäisch geprägte Moderne ablehnten und ihr eine gegenständliche, am amerikanischen Alltagsleben orientierte Kunst entgegensetzen wollten. Hopper hat diese wie jede Kategorisierung strikt abgelehnt; und mit dem Ruhm, den er schließlich errang, wurde er als Großer nach eigenem Maßstab anerkannt.

Die Londoner Retrospektive folgt dieser Perspektive; zumal der Katalog tut alles, Hopper als den großen Einzelgänger darzustellen, als der er sich, nachdem die „American Scene“ zusammen mit allen anderen gegenständlichen Tendenzen der Roosevelt-Ära längst in den Museumsdepots begraben worden war, zum Ende seiner sechzigjährigen Künstlerlaufbahn zu Recht fühlen durfte.

Hoppers Motive sind zweitrangig. Ihm geht es vielmehr um die Organisation und Darstellung von Raum auf der Fläche – diesem Grundproblem aller Malerei – und besonders um das Malen von Licht. „Ich bin sehr an Licht interessiert“, hat er in einer seiner seltenen Aussagen formuliert, „insbesondere an Sonnenlicht, und versuche Sonnenlicht zu malen, ohne die Form darunter auszulöschen.“

Raum und Licht, das sind die beiden, eng verflochtenen Probleme Hoppers. Die Holz- und Sandsteinhäuser des späten 19. Jahrhunderts mit ihrem dekorativen Schmuck geben ihm die Form vor, seine künstlerischen Fragestellungen zu bearbeiten. Wie verhalten sich unterschiedliche Lichtquellen zueinander, welche Schatten werfen sie, wie wirken warme und kühle Farben unter wechselnder Beleuchtung? Und, ein vielfach variiertes Thema: wie verhalten sich Innen und Außen, wenn sie unterschiedlichen Lichtsphären zugehören, wie Nacht und Lampenschein?

Das sind Fragen, die sich vor Hoppers Gemälden stellen. Die Szenen, die zu allen möglichen, bis ins Absonderliche reichenden soziologisch-psychologisch-geschlechtskundlichen Interpretationen Anlass gegeben haben, sind das Motiv, aber bei weitem nicht die ganze Malerei. Selten „geschieht“ etwas auf Hoppers Bildern. Die Ruhe, ja Erstarrung seiner Figuren ist legendär. Gerade darin bieten sie Raum zur Interpretation. Hopper erzählt wenig – und wenn, dann eher von seinem eigenen Verhältnis zur Welt. Den Betrachter aber zwingt er zu der Beobachtung, wie Licht den Raum bildet und verändert.

Die Londoner Ausstellung ist die wichtigste Retrospektive seit der allzu ausufernden Wanderausstellung des den Nachlass hütenden New Yorker Whitney Museums von 1980/81, die in London und Düsseldorf Station machte. Jetzt geht man den Weg der Beschränkung, konzentriert sich auf die Szenen, die in einer verblüffenden Vielzahl zu kollektiven Bildern oder umgekehrt zu Verbildlichungen kollektiver Seelenzustände geronnen sind. Es herrscht das Drama der Ereignislosigkeit. Früh bereits, in dem Schlüsselbild „Automat“ von 1927, starrt eine junge Frau in einem nächtlichen Imbisslokal in ihre Kaffeetasse, und bereits im Jahr zuvor lässt Hopper eine junge, unbekleidete Frau aus dem Fenster starren – ein Fenster, in das Sonnenlicht schräg einfällt und so das Thema der kommenden Jahrzehnte anschlägt. Da starrt dann eine erblühte Frau in die Ferne („Summertime“, 1943), und in ihr Gesicht kann man Erwartung und zugleich die Ahnung ihrer unweigerlichen Enttäuschung hineinlesen. Gerade die Ausdruckslosigkeit der Figuren – die man, ketzerisch, auch malerischem Unvermögen zurechnen kann – macht sie zu idealen Projektionsflächen eigener Befindlichkeit. Diese Erstarrung steigert sich im Spätwerk bis zur Karikatur. In „Morning Sun“ oder „Sea Watchers“ (beide 1952), in „City Sunlight“ (1954) oder „A Woman in the Sun“ (1961) geht es nur noch ums Starren, und in „Excursion into Philosophy“ brütet der Protagonist nach der Lektüre vor sich hin, während ihm die Sonne ein helles Rechteck vor die Füße wirft. Das eben ist: Malerei.

Zwei der besten Bilder Hoppers kommen allerdings ohne Figuren aus, das eine weltberühmt, das andere die Summe seines Lebenswerkes. In „Early Sunday Morning“ belebt das nahezu bildparallel einfallende Licht des frühen Morgens eine Häuserzeile, die – wenngleich Hopper ihr Vorbild mitten in New York fand – zum Inbegriff des kleinstädtischen Amerika der Depressionszeit geworden ist. In „Sun in an Empty Room“ von 1963 hingegen, seinem drittletzten Gemälde, ist der gezeigte Innenraum sämtlicher Gegenstände entledigt, selbst das Fenster ist nur noch in Umrissen angedeutet. Stattdessen wirft das Licht Farbflächen auf die gestaffelten Wände des mehrteiligen Raumes, in ihren Valeurs ungemein reiche Farbfelder, die seit jeher den Vergleich zur abstrakten Malerei Mark Rothkos herausgefordert haben.

Erkennbar näher liegt der Hinweis auf Hoppers Leidenschaft für Theater und Kino. Eine Reihe seiner Bilder ist in Zuschauerräumen angesiedelt. Das gängige Interpretationsmuster hebt die Vereinsamung und Vereinzelung der Besucher hervor; wenige erkennen das subtile Spiel mit Lichtquellen, das Hopper inszeniert. „Inszenierung“ ist ein Begriff, der umstandslos für Hoppers Kompositionsweise übernommen werden kann. Seine Gemälde sind Bühnenbilder – Arrangements, die eben nicht die korrekte Wiedergabe von realen Räumen zum Inhalt haben, sondern die Illusion solcher Wirklichkeit.

Inwieweit Hopper vom Film beeinflusst wurde, ist eine gern gestellte Frage. Richtiger ist, dass Hopper seinerseits Generationen von Filmregisseuren angeregt hat, weit über Alfred Hitchcocks Eingeständnis hinaus, er habe das düstere Haus in „Psycho“ Hoppers frühem Meisterwerk „Haus am Bahndamm“ von 1925 abgeschaut – derzeit ist es in der Berliner MoMA-Ausstellung zu sehen.

Überhaupt ist erstaunlich, wie wenig sich seine Bildsprache nach 1930 noch entwickelt hat. Alle Fragen waren ja gestellt, deren Beantwortung der Maler immer wieder aufs Neue suchte. Bis es ihm gelang, Sonnenlicht auf einer Wand zu malen, als sei es ein greifbarer Gegenstand.

London, Tate Modern, bis 5. September, Katalog 25 Pfund. Anschließend Köln, Museum Ludwig, 9. Oktober - 9. Januar 2005.

Edward Hopper wurde am 22. Juli 1882 in

Nyack im Staat New York geboren. Von 1900 bis 1906 studierte er Kunst in New York.

Von 1907 bis 1923 arbeitet Hopper (Bild: Selbstporträt von 1925-30) als Illustrator. 1924 hat er seine erste Galerie-Einzelausstellung . 1930 kommt sein Gemälde „Haus am Bahndamm“ als Schenkung in das Museum of Modern Art , das ihm 1933 seine erste Einzelausstellung in einem Museum ausrichtet. 1948 wird er vom Magazine „Time“ als herausragender Maler der USA gefeiert. 1956 vertritt er gemeinsam mit Willem de Kooning die USA auf der Biennale von Venedig . 1965 malt er sein letztes Bild, „Zwei Komödianten“. Hopper stirbt in seinem New Yorker Atelier am 15. Mai 1967. 1980 richtet das Whitney Museum of American Art eine Retrospektive aus.

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