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Kultur: Einsamkeit, argentinisch

POESIE

Der Züricher teamart Verlag hat vor kurzem eine schön ausgestattete zweisprachige Lyrikreihe gestartet, deren Schwerpunkt spanischsprachige Dichtung ist. Nach der großartigen Alejandra Pizarnik wird nun eine zweite argentinische Dichterin vorgestellt: Olga Orozco (1920-1999) mit „Die letzten Splitter des Lichts“ (hg. und übersetzt von Juana und Tobias Burghardt, 133 S., 19,50 €). Es ist eine Dichtung, die weniger Ausdruck als Bewegung des meditativen Geistes ist. Über die Einsamkeit dichtet sie: Mit glühenden Sandkörnern, die eine Feuerchiffre auf die Zeit prägen,/mit einem wilden Gesetz von Tieren, die aus ihrer Höhle die Gefahr belauern,/mit dem Taumel, nach oben zu schauen,/mit deiner Liebe, die plötzlich aufleuchtet wie eine Lampe mitten in der Nacht,/ mit kleinen Fragmenten einer der Vergötterung geweihten Welt,/mit der Anmut des Schlafes mit deiner ganzen Haut, die Flanke der Angst zudeckend,/im Schatten der Muße, die einen Fächer himmlischer Weiden zärtlich öffnet/du, Tag für Tag; die Einsamkeit, die ich fühle. Diese Dichtung hat einen hymnischen Duktus, der es dem lyrischen Ich erlaubt, die Einsamkeit zu überwinden; erst in der Feier des Gedichts löst sich der Schmerz auf.

Unter den 30, meist sehr umfangreichen Gedichten beeindrucken vor allem die kürzeren. Als eine Art Programm-Gedicht für den ganzen Band kann man ein Widmungsgedicht auf den großen spanischen Lyriker Luis Cernuda lesen: Die Wirklichkeit, ja, die Wirklichkeit,/dieser Blitz des Unsichtbaren,/der in uns die Einsamkeit Gottes kundtut. Um das Wirkliche und das Verlangen kreisen Olga Orozcos Gedichte in einer neoromantischen Sprache, die immer wieder ins Surreale umschlägt.

Hans-Jürgen Schmitt

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