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Kultur: Eisbären in Arkadien

Auch der strahlendste Sunnyboy der Opernregie hat mal Phasen im Leben, in denen es nicht ganz so gut läuft. Die Unterwelt als blubbernde Menschenfresserküche, allerlei niedliches Stoffgetier, ein Eisbär mitten in Arkadien, Amor als Pierrot, viel Theater im Theater im Theater und zum (glücklichen?

Auch der strahlendste Sunnyboy der Opernregie hat mal Phasen im Leben, in denen es nicht ganz so gut läuft. Die Unterwelt als blubbernde Menschenfresserküche, allerlei niedliches Stoffgetier, ein Eisbär mitten in Arkadien, Amor als Pierrot, viel Theater im Theater im Theater und zum (glücklichen?) Finale hin ein Spießeridyll, das Orpheus und Eurydike als in Würden ergrautes Ehepaar präsentiert, vor einer riesigen PappmachéGlotze hockend und dem eigenen Schicksal in dreiviertelstündiger Ballettform beiwohnend – solches und mehr kennt man aus der Gagschmiede des britischen Wunderknaben Nigel Lowery. Im besten Fall endet das auf des Messers Schneide: irgendwo zwischen Ulk und Utopie, zwischen Pop und Provokation, wie in seinem abgründig-witzigen „Rinaldo“ vergangene Saison an der Berliner Staatsoper Unter den Linden.

In weniger günstigen Fällen freilich – wie jüngst bei Glucks „Orphée“ an der Bayerischen Staatsoper München – bleibt von Lowerys Fantasiefeuerwerk erstaunlich wenig übrig. Das liegt dann meistens daran (so viel zur Ehrenrettung!), dass die Versuchsanordnung nicht stimmt. So hatte sich die Bayerische Staatsoper den Gluck’schen „Orpheus“ in den Kopf gesetzt, zur Pflege des Barockrepertoires und überhaupt. Und weil das Stück für das große Haus viel zu klein gewesen wäre, wählte man die Berlioz-Fassung von 1859 – ein halb ehrfürchtiges, halb kühnes Machwerk. Unter der Stabführung von Ivor Bolton im Graben indes wusste das Bayerische Staatsorchester an diesem Abend nicht so recht, wo es stilistisch beheimatet sein sollte: mehr bei Händel oder doch mehr in Richtung Grand Opéra? Ein Dilemma, vor dem auch Lowerys Pop-Werkzeuge versagten. Denn wo auf dramaturgische Bögen gesetzt wird und auf „doppelten Kursus“ (das Ballett als Rekapitulation des Ganzen), da ist mit dem Understatement eines Patchworkers wenig auszurichten.

Die Sänger schlagen sich trotzdem wacker: Rosemary Joshua als liebreizend zirpende Eurydice, Deborah York als Amor – und die einmal mehr großartige Vesselina Kasarova (siehe unsere Abbildung) in der Titelpartie. Für ihre berühmte Arie „J’ai perdu“ lohnt es sich denn auch unbedingt, heute Abend etwas länger wach zu bleiben und um 22.00 Uhr ARTE einzuschalten, wo die Münchner Produktion im Rahmen der Reihe „Musica“ übertragen wird. Le. Foto: Wilfried Hösl

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