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Kultur: "El Mar": Den schönsten Fisch zurückwerfen ins Meer

Liebe, Glaube, Krieg und Tod - lohnt es denn, darunter anzufangen? Und dazu das Meer.

Liebe, Glaube, Krieg und Tod - lohnt es denn, darunter anzufangen? Und dazu das Meer. Das Meer ist wichtig. Denn in ihm werden Liebe, Glaube, Krieg und Tod wieder eins. Das Meer umfließt alles. Es macht keinen Unterschied zwischen Tod und Liebe, zwischen Glaube und Krieg. Es ist eine große Mystikerin. Alles ist eins.

Als Kind hat Ramallo das einmal gespürt, als er die gefangenen Fische an der Sonne sterben ließ. Weil das viel einfacher ist als Totschlagen. Aber einen, den allerschönsten, warf er zurück ins Meer, Ramallo sprang hinterher und sah, dass da plötzlich keine Grenze mehr war zwischen ihm und dem Fisch. Zwischen ihm und dem Leben.

Mallorca. Eine Insel, die auch am Ende der Welt liegen könnte. Eine Insel, auf der Kinder heimlich zuschauen, wenn abends Väter andere Väter abholen, um sie auf dem Friedhof zu erschießen. Und der katholische Pfarrer ist jedesmal dabei. Es ist das Mallorca des spanischen Bürgerkriegs 1936. "Du, deinen Vater haben sie auch." Agusti Villaronga, der spanische Regisseur, kommt selbst von Mallorca. Er weiß, die Kinder sind ganz leise, wenn ihre Väter erschossen werden, denn sie kennen das Verbot: Kinder dürfen nachts nicht auf den Friedhof. Es sind sehr brave Kinder. Das Väter-Erschlagen ist Sache der Väter. Aber Kinder-Erschlagen - ist das nicht Kindersache? Der Sohn eines toten Vaters tötet den Sohn seines Mörders. Und Ramallo, der Junge mit dem Fisch, Manuel und Francisca haben es gesehen.

Ausgang einer Kindheit. Agusti Villaronga findet Bilder dafür, in denen die ganze Fremdheit des Kinderblicks auf die Erwachsenenwelt ist. Was wird aus Menschen, denen das Gefäß Kindheit so zerspringt? Sie treffen sich wieder, längst erwachsen, in einem Sanatorium, Ramallo, Manuel und Francisca. Francisca ist Nonne geworden und Krankenschwester. Ramallo und Manuel hat die Tuberkulose, die Volkskrankheit der vierziger Jahre, hierher gebracht. Sie gehören trotz der Trennung noch immer zusammen, das alte gemeinsame Wissen bindet. Und eine neue Liebe, die nun keine Kinderzuneigung mehr ist. Dieser Schicksalring um drei Menschen, gewalttätig wie ihre Frühe auch er, interessiert Villaronga. Einziges Gegenbild: Ramallos Meer. Nur das Meer liegt jenseits des Schicksals.

Villaronga muss ein spanischer Mystiker sein - vorausgesetzt, Mystiker sind zugleich große Mitwisser der Liebe, der göttlichen und der menschlichen, und wer wollte beide schon so genau trennen? Manuel (Roger Casamajor), der so hoffnungslos dem schönen, männlich-simplen Ramallo (Bruno Bergonzini) verfällt, kann es ja selbst nicht. Der Komplizierte, der mit der vielfach gefalteten Seele, liebt den ganz Einfachen. Ewiges Geheimnis der Liebe. Ist Gott nicht auch ganz einfach? Und noch etwas zeigt Villaronga: dass der Liebende doch immer göttlicher ist als der Geliebte. Also auch göttlicher als Gott? Die alte Ketzerei der Mystik.

Hätten die spanischen Mystiker schon Filme gedreht, sie hätten wohl dieselben Farben genommen wie Villaronga. Dunkles Blau und Grau - mitten in Spanien! -, und doch ist alles durchsichtig bis auf den Grund. Oder Villaronga sah einfach mit den Augen der spanischen Maler. Jedenfalls hat er dieselbe suggestive Wahrnehmung für Gewalt, für die Beiläufigkeit wie den Ingrimm des Tötens. Ja, es gibt überhaupt kein nichtgewalttätiges Bild in diesem Film bis zum Wiedereintauchen in die Unterwasserwelt. Und doch ist "El Mar", wenngleich präzise komponiert und wunderbar fotografiert, kein wirklich großer Film. Weil er sich zunehmend verliert in der religiösen Obsession seines Helden. Und weil dieses Liebesschlachtfest am Ende seinen Eindruck beinahe zerstört. Zu äußerlich ist die Logik, der es folgt. Zu dogmenförmig. Mystiker zerbrechen nicht an Dogmen. Höchstens an sich selbst.

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