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Kultur: Elfenerotik und Rittergerassel Spektakel: Massenets „Esclarmonde“ in Dessau

Neben dem Eiffelturm war sie die große Attraktion auf der Pariser Weltausstellung 1889: Jules Massenets Oper „Esclarmonde“. Die Opéra Comique präsentierte das neueste Werk des damals beliebtesten französischen Komponisten mit dem denkbar größten Aufwand, mit kostbarer Ausstattung und modernster Bühnentechnik einschließlich frappierender Diaprojektionen – und das internationale Publikum staunte.

Neben dem Eiffelturm war sie die große Attraktion auf der Pariser Weltausstellung 1889: Jules Massenets Oper „Esclarmonde“. Die Opéra Comique präsentierte das neueste Werk des damals beliebtesten französischen Komponisten mit dem denkbar größten Aufwand, mit kostbarer Ausstattung und modernster Bühnentechnik einschließlich frappierender Diaprojektionen – und das internationale Publikum staunte. Jubel und Fußgetrampel, wie man es sonst nur aus dem Bayreuther Festspielhaus kennt, brandete jetzt auch im Anhaltischen Theater Dessau auf bei der deutschen Erstaufführung dieser opéra à très grand spectacle.

Regisseur Roman Hovenbitzer erzählt die im mittelalterlichen Byzanz angesiedelte Geschichte als eine Mischung aus „Zauberflöte“ und „Mittsommernachtstraum“, mit tanzenden Elfen, viel Bühnennebel und rätselhaften rituellen Handlungen. Den Zeitgenossen muss dieses Märchen für Erwachsene eher wie eine erotische Fantasie in vier Akten erschienen sein. Die mit magischen Kräften ausgestattete Kaisertochter Esclarmonde hext sich zwecks Liebesspiel den Ritter Roland auf eine einsame Insel, vermählt sich dort mit ihm – allerdings ohne ihren Schleier zu lüften. Als der Bischof von Blois Roland nach allen Regeln inquisitorischer Kunst sein Geheimnis entreißt, bekommt auch Esclarmonde Ärger mit ihrem Vater: Der setzt sie prompt als Preis eines Turniers aus. Das wiederum gewinnt natürlich der verzweifelte Roland, der in dem Wettstreit eigentlich nur den Tod gesucht hatte. Und so endet die forsche Femme fatale doch noch als folgsame Gattin.

Massenets Ruhm gründete einst auf seiner Meisterschaft, weibliche Sehnsucht und wollüstiges Begehren in Musik übersetzen zu können. Seine Melodien haben die Verführungskraft einer Mata Hari. Aber erst eingehüllt in exquisite, harmonisch vieldeutig schillernde Orchesterklangwolken entfalten sie ihre volle rauschhafte Süße. Daniel Carlberg und die Anhaltische Philharmonie haben sich hörbar intensiv in die Gefühlswelt Massanets eingearbeitet und geben sich nun rückhaltlos dem perfide-raffinierten Talmiglanz der Partitur hin, mit dem berüchtigten Zwischenspiel des 2. Akts als Höhepunkt, wenn die Ekstase einer Liebesnacht zum tönenden Ereignis wird.

Die Besetzung der Titelrolle mit der 24-jährigen schönen Amerikanerin Sybil Sanderson trug 1889 zum Erfolg der Uraufführung bei. In Dessau wagt sich Angelina Ruzzafante an die hochvirtuose Koloratursopranpartie und liefert nicht nur die spektakulären Spitzentöne ab, sondern vermag auf die Figur auch noch den Schatten junger Mädchenblüte fallen zu lassen. Sung-Kyu Park steht ihr als Roland mit hellem, heldischen Tenor zur Seite, die Chöre (Einstudierung: Helmut Sonne) entfalten edle Klangpracht.

Gemessen an der Einwohnerzahl der Stadt ist die Dessauer Bühne ein Riesenkasten: Kaum 77 000 Menschen wohnen hier, im Theater aber wollen 1072 Sitzplätze gefüllt werden. Zudem zwingt die extrabreite Bühne dazu, die ganz großen Stücke zu spielen – bei einem minimal bemessenen Etat. Wenn unter diesen Bedingungen Wagnisse möglich sind wie jetzt mit Massenets „Esclarmonde“, dann wird wieder klar, warum die ganze Welt Deutschland um seine Kulturlandschaft beneidet. Frederik Hanssen

Wieder am 2., 15. und 29. Juni

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