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Elizabeth Gilbert: „Ich gehe mit kindlichem Staunen durch die Welt“

Elizabeth Gilbert, 41, schrieb mit "Eat Pray Love" einen Roman, der über sieben Millionen Mal verkauft wurde. Ihr aktuelles Buch dreht sich um die Ehe: "Das Ja-Wort". Die Autorin lebt mit ihrem Mann in New Jersey.

Mrs. Gilbert, bekommen Sie zurzeit genug Aufmerksamkeit?

Sie sprechen mich auf meine Fehlerliste an?

Ja. Sie haben Ihren Mann mit einer Liste Ihrer schlechten Eigenschaften gewarnt, bevor er Sie geheiratet hat. An erster Stelle steht: „Ich brauche ständig Aufmerksamkeit.“

Ich erhalte gerade sogar zu viel Aufmerksamkeit. Hätte man mir das früher prophezeit, ich hätte es nie und nimmer geglaubt. Aber seit eineinhalb Jahren kann ich mich über mangelndes Interesse nicht beschweren – da war ich zum zweiten Mal in Oprah Winfreys Talkshow zu Gast.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sieben Millionen Menschen „Eat Pray Love“ gekauft, und Julia Roberts stand für die Verfilmung vor der Kamera.

Wenn ich es darauf angelegt hätte, ich hätte eine eigene Fernsehshow oder eine Parfümlinie haben können.

Stattdessen haben Sie sich nach Frenchtown zurückgezogen, eine Kleinstadt in New Jersey, wo Ihre Fans Sie regelmäßig aufsuchen.

Jemand erzählte mir, sie nennen sich „Lizbians“. Oft sind es enttäuschte Frauen mit der Hoffnung, dass das Leben noch einmal besser wird. Und diese Frauen brauchen wirklich Aufmerksamkeit – von sich selbst. Zu lange haben sie sich für andere aufgerieben und sich selbst vernachlässigt.

Die klopfen dann bei Ihnen zu Hause an die Tür?

Nein, manchmal kommen sie in das kleine Geschäft, das mein Mann und ich führen.

Sie sind reich. Warum stehen Sie in dem Asien-Import-Geschäft selbst an der Kasse?

Weil das für meinen Kopf pure Erholung ist. Als Schreiberin denke ich darüber nach, ob eine Metapher sitzt, als Verkäuferin, ob der Edelstein jetzt am richtigen Platz präsentiert ist. Das ist sehr konkretes Arbeiten.

Gibt es auch Männer, die Lizbians sind?

Vor allem offenbar in Polen. Kürzlich hatte ich dort eine Lesung, viele Männer mittleren Alters kamen mit ihren Ehefrauen, und sie fragten sehr gezielt nach der Stille beim Meditieren, nach den Gebeten.

In „Eat Pray Love“ beschreiben Sie, wie Sie nach der Scheidung von Ihrem ersten Mann auf eine Sinnsuche nach Italien, Indonesien und Indien aufbrechen. Drei Monate verbringen Sie in einem Ashram. Haben Sie heute noch Zeit, Yoga zu praktizieren?

Beinahe jeden Tag, nur das Meditieren habe ich zwischendurch für ein Jahr ganz aufgegeben. Erst seit kurzem versuche ich mich wieder daran. Manchmal muss ich einfach meinen inneren Schweinehund überwinden.

Bedeutet das, Sie müssen erst genug Frustration anhäufen, um wieder meditieren zu können?

Nein, wenn ich eine Zeit lang meditiert habe, geht es mir gut, und ich denke, ich brauche das nicht mehr, ich habe mein Gleichgewicht wieder gefunden. Die Energie trägt einen eine gewisse Zeit, verschwindet aber langsam.

Kann man sich das wie Zahnarztbesuche vorstellen: Man geht nur hin, wenn man muss?

Nein, das stimmt nicht. Weil es nicht um Schmerz geht, sondern um Sehnsucht. Ich sehne mich direkt danach, wieder ein Gleichgewicht zu spüren, wieder die Erfahrung zu machen, dass ich eine persönliche Verbindung zum Ewigen habe.

Bitte klären Sie uns auf: Was ist das Ewige?

Mit Worten kann ich das leider nicht ausdrücken. Ich wüsste nur, mir würde es fehlen, wenn ich das nicht mehr spüre.

Ihr Leben hat sich ziemlich verändert – von der Karrierejournalistin in Manhattan zur Hausfrau, Verkäuferin und Schriftstellerin auf dem Land.

Die Hausfrau nehmen Sie zurück! Verkäuferin, okay. Aber Hausfrau – auf keinen Fall.

Haben Sie sich mit 20 vorgestellt, so zu leben?

Ich glaube, niemand rechnet damit, dass er ausgerechnet in New Jersey landet! Meine Mutter behauptet, ich erinnere sie an meine Großmutter, die Mutter meines Vaters. Sie hatte eine Farm, las abends Tolstoi, war eine schluderige Hausfrau, gab rauschende Cocktailpartys und trug manchmal die Kleidung ihres Mannes. Oft fuhr sie in einem Pick-Up mit lauter Hunden herum, es war ihr egal, ob ihre Frisur vom Fahrtwind ruiniert wurde. Mit Anfang 20 hockte ich in einem kleinen Appartement in New York, und meine Mutter meinte: „Eines Tages wirst du dich am Ende einer langen Straße in einem unordentlichen Haus mit einem Pick-Up-Truck davor wiederfinden, in dem lauter Hunde sitzen.“ Und ehrlich gesagt, kommt das der Wirklichkeit ziemlich nahe.

Mit 23 haben Sie dann im „Coyote Ugly“ gearbeitet, eine Bar im New Yorker East Village.

Die Besitzerin hatte sich überlegt, dass man mehr Männer in eine Bar lockt, wenn man ein paar gut aussehende Frauen als Barkeeper anstellt. Meine Rolle war die der Zuhörerin. Zu mir kamen die Männer, um sich über ihre Scheidung auszuheulen, und dabei tranken sie, bis sie umfielen. Jeder da draußen trägt eine Geschichte mit sich herum, die er unbedingt loswerden will. Man muss nur danach fragen. Für meine Arbeit als Journalistin war das ein ideales Training.

Daraus haben Sie einen Artikel für das Männermagazin „GQ“ gemacht, aus ihm wurde der Hollywood-Film „Coyote Ugly“. Haben Sie viel Geld für die Filmrechte bekommen?

Oh ja! Davon habe ich ein Haus gekauft, das jetzt meinem ersten Mann gehört.

Also sind die Erinnerungen an die Zeit ambivalent?

Nein, damit bin ich im Reinen. Ich finde es schlimm, wenn eine Beziehung in die Brüche geht und negative Gefühle später alles überschatten. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich meinen Ex kennenlernte, bin ich immer noch gerührt. Das war eine Wahnsinnsnacht! Er saß an der Bar, hatte kein Geld mehr, und ich lieh ihm 20 Dollar.

In „Das Ja-Wort“ schreiben Sie, dass Frauen über Ihre Beziehungen oft in Parabeln reden. Wie sprachen die Männer an der Bar darüber?

Die meisten Männern hatten es versäumt, ihrer Beziehung die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hatten erst vor einer Woche gemerkt, dass in ihrer Ehe irgendetwas nicht stimmte. Ihren Frauen war das bereits fünf Jahre früher aufgefallen. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die bei der New Yorker Feuerwehr arbeitet. Wenn einer ihrer jungen Kollegen heiraten will, erklärte sie: „Ich werde dir mal etwas über die Ehe verraten. Deine Frau wird dir alles verzeihen, so lange sie dich liebt. Sie wird Entschuldigungen für dich erfinden, deine Schulden tilgen, hinter dir aufräumen und dir den Rücken freihalten. Immer und immer wieder. Bis ihr eines Tages der Kragen platzt. Und wenn das passiert ist, kann nichts sie zu dir zurückbringen. Also lass es nie so weit kommen!“ Das ist die Lektion, die Männer lernen müssen: Frauen kennen durchaus Grenzen.

Sie sind für eine Reportage einmal als Mann verkleidet durchs Leben gegangen. Welche Lektion haben Sie da gelernt?

Das war die bedrohlichste Situation in meinem Leben! Weil mir klar wurde, wie verletzlich ich bin. Jede Interaktion zwischen Männern ist ein Abklopfen, wer als Sieger aus einer Schlägerei hervorgehen würde. Und ich war definitiv der Verlierer. Ich bin zwar eine große Frau, war aber ein schmächtiger Mann. Ich rechnete ständig damit, verprügelt zu werden.

Dann haben Sie sich Frauen gegenüber sicher stärker gefühlt?

Nein, weil ich gar keine Ausdrucksmöglichkeiten mehr hatte. Ich gehe normalerweise mit großen Augen und einem kindlichen Staunen durch die Welt. Als Mann durfte ich das nicht. Ich fühlte mich wie eingemauert.

Das kann man von der Ehe auch sagen.

Das stimmt, eine Ehe ist eine Mauer. Aber sie kann eben für eine Person ein Gefängnis sein und für eine andere ein Zufluchtsort.

Ihre erste Ehe haben Sie als Gefängnis wahrgenommen.

Am Ende, ja. Deshalb war ich ja auch von der Idee, noch einmal zu heiraten, nicht so begeistert.

Sie hatten die Wahl: Entweder Ihren brasilianischen Freund José zu heiraten – oder eine komplizierte Fernbeziehung mit ihm zu führen. Sie waren Zeugin, wie er bei der Einreise am Flughafen Dallas ausgewiesen wurde. Ein Heimatschutz-Beamter schlug Ihnen die Ehe vor.

Da dachte ich, er würde unsere Beziehung ruinieren. Dass wir unsere Privatsphäre nun den Vereinigten Staaten von Amerika übereignen müssten. In diesem Moment habe ich sogar vergessen, dass es in der Ehe auch um uns beide geht – und dass am Ende ja auch zählt, mit wem man verheiratet ist.

Sie sind mit Ihrem Zukünftigen durch Südostasien gezogen, bis Sie alle Unterlagen für die Hochzeit organisiert hatten, haben vietnamesische Frauen über ihre Ehen interviewt und Bücher über das Thema gewälzt. Warum um alles in der Welt sollte man denn nun heiraten?

Also: Die Ehe existiert, weil Menschen sich ineinander verlieben und Intimität langfristig teilen wollen. Intimität kann man nicht ohne Privatheit leben, Privatheit schützen kann man nicht ohne Rechte, und Rechte als Paar hat man in Amerika ohne Heirat leider nicht. Deshalb kämpfen gleichgeschlechtliche Paare so hart für ihre Anerkennung. In Amerika ist die Ehe ein Kreis, den man um sich zieht, in den die Regierung, die Nachbarn oder die Familie nicht eindringen können. José und ich haben nun Sicherheit. Wir können gemeinsam Eigentum kaufen oder ein Geschäft eröffnen.

Warum mussten Sie sich überhaupt so exzessiv mit dem Thema Ehe beschäftigen?

Als uns klar wurde, dass wir heiraten mussten, damit José wieder nach Amerika durfte, ertappte ich mich bei dem Gedanken: „Es muss ja keiner wissen. Wir heiraten einfach heimlich.“ Am besten so heimlich, dass wir es selbst kaum merken. Da wurde mir klar, dass ich mich dringend mit dem Thema auseinandersetzen muss.

Kam Ihnen mal der Gedanke: Wenn ich jetzt nicht „Ja“ sage, trete ich nie wieder vor den Traualtar?

Hm, niemand denkt gerne, dass es keinen gibt, der einen sonst haben möchte. Danke schön.

Dahinter steckt die Frage, ob man ab einem bestimmten Alter aufgibt zu suchen?

Ich habe nie wirklich gesucht. Als ich José vor sieben Jahren auf Bali traf, war ich als Single glücklich. Mein Handeln richtete sich nicht darauf aus, einen anderen Mann zu finden. Ich hätte nie jemanden als Partner genommen, nur um das von einer imaginären Liste zu streichen. Nach dem Motto: So, das hätten wir geregelt.

Sie schreiben, dass Frauen in der Ehe immer mehr aufgeben und verlieren als Männer.

Das lässt sich sogar statistisch belegen. Mit den Jahrzehnten hat sich das Verhältnis allerdings angeglichen. Ich saß neulich mit Stephanie Coontz beim Mittagessen. Sie ist die führende amerikanische Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Familienforschung. Sie sagte mir: „Es gibt zwei gute Nachrichten. Die erste: Für die Ehe gibt es kein Schema F mehr. Du kannst deine Beziehung innerhalb dieser Institution formen, wie es früher niemals möglich gewesen wäre. Die zweite: Neue Studien zeigen, dass Frauen genauso von einer Ehe profitieren können wie Männer.“ Allerdings müssen einige Faktoren stimmen.

Nämlich?

Frauen müssen finanziell unabhängig sein, einen Beruf haben, der sie zufrieden stellt, nicht zu früh Kinder bekommen und einen Partner haben, der einen Teil der Aufgaben übernimmt, die früher ausschließlich an den Frauen hängen blieben.

Die klassische Versorgerehe stirbt aus.

Es gibt immer mehr Familien, in denen sich Mann und Frau zu gleichen Teilen um die Kinder kümmern. In den USA sieht man normalerweise Männer und Frauen, die gemeinsam mit den Kindern unterwegs sind. Aber kürzlich war ich in Schweden, und da liefen mir drei junge Männer alleine mit Baby über den Weg. Ich war total baff. Am liebsten wollte ich sie fragen: Hey, was machen denn eure Frauen gerade?

Wenn Sie unterwegs sind, stellen Sie einen Unterschied fest, wie Männer und Frauen reisen?

Frauen reisen noch nicht so lange, insofern lässt sich das schwer sagen. Es heißt, alleine zu reisen sei gefährlich für Frauen. Aber ich bin gern alleine unterwegs gewesen. Weil man als Frau einen Vorteil hat: Die Menschen hatten keine Angst vor mir. Frauen ließen mich völlig unbefangen in ihr Haus, nahmen mich als Alleinreisende sofort unter ihre Fittiche, legten mir ihr Baby in den Arm und erzählten mir ihre Lebensgeschichte. Ein allein reisender Mann macht den Menschen erst einmal Angst, er wirkt bedrohlich.

Sie sind nie in eine gefährliche Situation geraten?

Doch, als ich mit 20 Jahren in Rom war. Eines Nachts belästigte mich eine Gruppe junger Männer. Sie hatten Spaß dran, mir Angst einzujagen, indem sie mir folgten. Ich war panisch, auch weil niemand auf der Straße war, der Mitleid mit mir zu haben schien. Sie hatten diese eine Frage im Gesicht: Warum trieb sich eine Frau nachts auf der Straße herum?

Wie sind Sie den Männern entkommen?

Ich bin einfach in die nächste Trattoria gerannt. Dieses Erlebnis war so schlimm für mich, dass ich mich für den Rest der Reise in meinem Hotelzimmer versteckte. Zum Glück hat sich Rom sehr verändert. Das würde heute bestimmt nicht mehr passieren.

Wenn jetzt Julia Roberts als Liz Gilbert durch Rom flaniert, was denken Sie da?

Ich mag den Film, aber das bin doch nicht ich! Sie ist älter als ich damals – und damit verleiht sie der Rolle automatisch eine größere Reife und Würde, als ich sie besaß.

Sie haben an Rom vor allem das Essen geliebt. Wie geht es Ihnen kulinarisch in New Jersey?

Zum Glück habe ich einen Mann, der ein außerordentlich begabter Koch ist. Er macht tollen Lammbraten, man könnte fast vergessen, dass er von einem brasilianischen Vater aufgezogen wurde und nicht von einer italienischen Mamma. Es gibt inzwischen tatsächlich Wartelisten für Einladungen bei uns. Eine Freundin, die ich kürzlich verärgert und bei der ich mich entschuldigt habe, meinte bloß: „Liz, alles in Ordnung. Sag deinem Mann einfach, er soll ein Curry für mich kochen.“

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