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Emil Nolde: Wunderwelt zwischen den Wassern

Augenlust und Lebensfreude: Emil Noldes Landschaften in einer Berliner Ausstellung.

Natürlich kann man sich einfach dem Farbrausch der Gemälde hingeben, 36 an der Zahl, dazu 17 Aquarelle, die die Nolde Stiftung Seebüll von Sonntag an in ihrer Berliner Dependance präsentiert. In allen Farben prangt – man muss das altertümliche Wort hervorholen! – die Landschaft, leuchtet das Meer, türmen sich Wolken im endlosen Himmel. So lieben Millionen Kunstfreunde die Werke Emil Noldes, als Feier der Natur und ihrer Schönheit, als kraftvolle Empfindung alles Natürlichen. Und so ist die Ausstellung „Mein Wunderland von Meer zu Meer – Landschaften, Blumen, Meere“ schon im Titel eine Einladung zu Augenlust und sommerlicher Lebensfreude.

Nichts dagegen zu sagen; schließlich ist es die Aufgabe der hart am Nordrand Deutschlands beheimateten Nolde-Stiftung, das Werk des großen Expressionisten und lebenslangen Einzelgängers in aller Welt bekannt zu machen, und mit der Berliner Filiale verfügt sie seit einem Jahr über das denkbar beste Instrument, den ungeheuren Bestand der von Nolde bereits 1901 erwogenen Sammlung eigener Werke in wechselnden Ausstellungen zu präsentieren, vor allem aber kunsthistorisch zu erforschen. Denn ganz so zeitvergessen und weltenfern, wie sich Nolde zumal in seinen späten Selbstzeugnissen gibt – und die Ausstellung macht davon in Wandtexten suggestiven Gebrauch –, war der 1867 geborene Emil Hansen nicht. Man muss nur in seiner – endlich wiederaufgelegten – Autobiografie „Mein Leben“ blättern, um in dem Maler, der sich den Namen seines nordschleswigschen Geburtsorts Nolde zulegte, den wachen Zeitgenossen zu entdecken (DuMont Buchverlag, Köln 2008, 29,90 €).

Von der Politik hat sich Nolde ferngehalten. Die hymnische Feier der Heimat hat denn auch nichts Tümelndes, sondern ist durch das Ergriffensein durch die elementaren Kräfte von Wind und Wetter, bewegter und blühender Natur in seinen Arbeiten beglaubigt. Die thematische Gliederung der wohltuend großzügig gehängten Ausstellung lässt erkennen, wie sehr Nolde in seinen frühen Jahren Kunst wahrgenommen und rezipiert hat. Jörg Garbrecht, Leiter der Nolde-Dependance und Kurator der Ausstellung, zählt im Katalog Einflüsse von William Turner über die Schule von Barbizon bis zum Symbolismus auf. Die Zeitgenossen kommen dabei zu kurz. Dabei waren sie höchst präsent, als Nolde um 1910 in Berlin Fuß zu fassen versucht und mitten in die kunstpolitischen Auseinandersetzungen der Reichshauptstadt gerät.

Weiter entfernt von derlei könnte die jetzige Ausstellung gar nicht sein, die obendrein mit 15 nie zuvor gezeigten Arbeiten regelrecht Premierencharakter besitzt. Die Spätwerke „Meer (I)“ von 1947 und „Hohe Sturzwelle“ aus dem Folgejahr dürfen natürlich nicht fehlen. Dass aber von Nolde zugleich ein so großartig unbuntes Werk stammt wie die bislang nie gesehenen „Dünen“ von 1935 – ein Pendant zu den aufgewühlten Seestücken wie dem allein auf eine Wand gesetzten „Meer III“ von 1913 –, kann und muss noch immer erstaunen.

Aus der Biografie des im Rhythmus der Jahreszeiten aufgewachsenen Bauernkindes und aus späteren, man möchte sagen gezielten Äußerungen über das „Wunderland von Meer zu Meer“ fügt sich das Bild eines malenden Naturburschen. Vorsicht! Nolde konnte gut, und das heißt: mit Distanz beobachten. Sein „Feriengast (Mann unter Bäumen)“ von 1904 hat einen leisen, aber vernehmlichen Liebermannschen Beiklang. Aber natürlich herrscht auch auf diesem Gemälde zuallererst der Sommer, in ganzer Pracht und Fülle. Bernhard Schulz

Nolde Stiftung, Dependance Berlin, Jägerstr. 55, 1. Juni bis 31. August. Katalog bei DuMont, 29,90 €. Veranstaltungsprogramm unter www.nolde-stiftung.de

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