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Ende des Ölzeitalters: Wind der Zukunft

In der Finanz- und Wirtschaftskrise wird verdrängt, dass mit dem Ölzeitalter auch die alte Globalisierung zu Ende geht.

Wenn Sie in der Finanzkrise noch etwas Geld übrig haben und aller angeblich bombensicheren Anlagetipps nicht längst überdrüssig sind, dann gibt es noch was: Investieren Sie in Segelschiffe. Vielleicht auch Luftschiffe, wenn die nicht platzen oder Feuer fangen. Aber Segler, große Hybridsegler haben Zukunft. Und das ist wahrscheinlicher, als wenn Sie vor dreißig Jahren in eine oberbayrische oder Tiroler Rucksackfabrik ihr Geld gesteckt hätten – kaum ahnend, dass aus dem vermeintlich unmodischsten, wanderwurzelseppigsten Trageding noch einmal ein weltweiter Clou für jedes Alter und Geschlecht werden würde.

Bei den Seglern aber geht es um keine Mode. Und um keinen Witz. Denn wir werden, wenn die Weltwirtschaft nicht ganz baden geht, ziemlich bald in die Zukunft segeln. Und das kommt so: Im Moment denken fast alle, das Jahr 2009 wird wegen der Folgen der Finanzkrise noch- mal richtig hart. Aber wenn der Augiasstall an der Wallstreet und in der Londoner City (plus allen Zweigställen) erstmal richtig ausgemistet ist, dann wird es schon wieder werden. Ab circa 2010 auch mit der Realwirtschaft. Das mag schon sein. Nur wird es auch dann kaum mehr werden, wie es bisher war.

Die Weltökonomie und unser tägliches Leben beruhen vor allem auf Öl. Das steckt nicht nur im Benzin, sondern in Produktionen und Produkten ohne Zahl. Vor dem Ausbruch der Finanzkrise war der Ölpreis schon explodiert, nun dümpelt er wunderbar tief dahin, doch dieses Wunder ist so trügerisch, dass die Wirtschaftswunderheiler im Bann der akuten Krise verdrängen, was eben noch war und weiter wird. Springt nämlich der Motor der sogenannten Realwirtschaft wieder an, braucht er, säuft er aufs neue Öl. Sehr viel Öl. Dann wächst mit dem Durst der westlichen Industriestaaten auch wieder und weitaus schneller die Nachfrage der Schwellenländer China und Indien.

Die Fördermengen der Erdölproduzenten sind seit 2006 insgesamt nicht gestiegen. Und die Diskussion vor allem amerikanischer Experten, ob der Bedarf an Öl die maximal noch mögliche Förderung bereits übertrifft und die globalen Ölreserven trotz einzelner neu entdeckter Vorkommen etwa in Brasilien immer dramatischer schrumpfen, diese „Peak Oil“-Diskussion stellt nur noch die Frage der genauen Datierung. Jetzt schon oder irgendwann in naher Zukunft. Der Ölmulti Royal Dutch Shell schätzt derzeit, dass seine eigenen Reserven bestenfalls noch zehn Jahre reichen. Die augenblicklichen Barrel-Preise decken nun nicht mehr die Grundkosten, und die Förderung und Raffinierung aus langsam versiegenden Ölquellen erfordert immer mehr technologischen Aufwand und Geld.

Hinzukommt, was diese Woche Forscher und Ökonomen in der „New York Times“ als Teufelskreis beschrieben haben: Die Wirtschaftskrise führt zu dem augenblicklich zwar von Verbrauchern und Unternehmen begrüßten niedrigen Ölpreis, beides zusammen aber stoppt die teure Exploration neuer Ölvorkommen ebenso wie notwendige Investitionen in bestehende Anlagen: Was die Schere zwischen Angebot und Nachfrage noch drastischer öffnen wird und den für die Weltkonjunktur entscheidenden Ölpreis in naher Zukunft umso stärker in die Höhe treibt.

Natürlich gibt es die Hoffnung auf alternative und vor allem klimaschonendere Energien. Viel zu spät und weniger aus Umweltschutzgründen denn als Folge des akuten ökonomischen Drucks setzt die Autoindustrie jetzt auf die beschleunigte Entwicklung von Hybridantrieben und Elektromotoren. Das ist schon mal ein Fortschritt. Auch wird die Automobilindustrie nach allen dramatischen Verwerfungen und Verwandlungen (vom Klimakiller zum sanften Emissionär) durchaus eine der klassischen Schlüsselindustrien bleiben. Doch die globale Wirtschaft und der augenblickliche Lebensstandard beruhen – nicht nur in der westlichen Welt und entgegen dem vordergründigen Anschein – gar nicht auf dem alltagskulturell so stark dominierenden Auto. Die Globalisierung steht, läuft und fällt auch nicht mit dem Internet, sondern ganz real mit dem weltumspannenden Austausch von Gütern und Menschen: also mit den sich auf allen Meeren hin- und her bewegenden riesigen Containerschiffen und mit dem unaufhörlichen Flugverkehr.

Diese Mobilität gründet auf Öl. Es wird zu Lande bald immer mehr Elektroautos geben. Aber zu Wasser und in der Luft reichen für große Schiffe und Flugzeuge keine Batterien, kommt schon aus Sicherheitsgründen keine Nukleartechnik in Frage, und der alte Kohledampfer verbietet sich wegen des Klimaschutzes. Wasserstoff-Flugzeuge? Eine Utopie, bis zu deren ungewisser Verwirklichung das Öl längst alle wäre. Da bleibt nur die Windkraft.

Kürzlich ist eine Kompanie deutscher Schriftsteller und Intellektueller nach Dubai gereist, und selbst ein Scharfsinniger wie Hans Magnus Enzensberger war tief beeindruckt, wie man sich „hier für die Zeit nach dem Öl“ rüstet. Gemeint war die Zukunftsmusik, die auf artifiziellen Eilanden, in tollen neuen Museen und Konzerthallen, in himmelschießenden Finanzpalästen, künstlichen Freizeitparadiesen und gigantischen Shopping-Malls spielt. Das soeben mit dem größten Feuerwerk aller Zeiten eingeweihte Hotel Atlantis trägt freilich den Namen einer legendären Traum- und Untergangsinsel.

Inzwischen ist die Krise auch in den Golf-Emiraten angekommen, und die Siebensterneherberge Atlantis hat zur Zeit 25 Prozent Bettenbelegung; es heißt, man könne dort ein Zimmer bereits für wenig mehr als 100 Dollar buchen. Die fortschrittlichen Scheichs aber planen das Morgen-Land. Gut möglich also, dass man in Dubai und ähnlichen Regionen die Klimaanlagen, die Aufzüge in den Wolkenkratzern und die monumentalen Indooreisbahnen und Skipisten künftig mit modernster Solartechnik betreiben wird. Sonne gibt es dort ja genug. Auch sonnenhungrige Künstler, Unternehmer und Spieler. Neugierig auf diese Welt der Superlative, die Dubai in der Zeit nach dem Öl endgültig zur globalen Attraktion machen soll, hat der Architekturkritiker Gerhard Matzig vor einigen Monaten in der „Süddeutschen Zeitung“ das Magnet-Modell des künftigen Sonnenstaats ausführlich beschrieben. Doch ganz am Ende hat er sich gefragt: Wie kommt man dann eigentlich noch dorthin?

Die Frage ist schlagend. Die einen stecken, wenn es um mehr als das tägliche, kurzfristige Überleben geht, den Kopf in den Sand. Die anderen bauen auf ihn. Für die Wohlhabenderen wird die globale Mobilität gewiss noch eine schöne Weile weitergehen. Fliegen zum Beispiel war auch früher schon ein gewisser Luxus und wird es künftig wohl wieder werden. Im übrigen ist es kein Menschenrecht und keine Menschenpflicht für den Mitteleuropäer, seine Ferien auf Mallorca oder in der Dominikanischen Republik zu verbringen. Auch könnten wir es verschmerzen, wenn unsere Nord- oder Ostseekrabben nicht über Nacht in Marokko gepult und dann wieder zurückgeflogen werden.

Man muss also bei den möglichen Auspizien keine Angstlüste schüren und keine kulturkritische Apokalypse ausmalen. Eine mit mehr lokalen und regionalen Ressourcen wirtschaftende Welt ist keine schlechtere, und Miterrungenschaften der Globalisierung – Informationsströme durch alle Kontinente oder der Gedanke universell gültiger Menschenrechte – bleiben hiervon unberührt.

Die Zukunft der Mobilität aber weht wohl in den Lüften. Schon experimentieren deutsche Erfinder und Reeder mit Powerbooten, die durch Rotoren und Windkraft angetrieben werden, und in etlichen europäischen Ländern werden Frachtschiffe geplant, die neben konventionellen Motoren über riesige Segel verfügen. Das ist naturgemäß noch nicht ausgereift. Und noch weniger bietet ein Zeppelin schon Ersatz für einen Airbus. Aber die Zukunft der alten, neuen Luftschiffe hat schon begonnen. Das alles weckt Fantasiekräfte, die über die unmittelbaren technischen Fragen weit hinausreichen. Sie markieren, aus Überlebensvernunft geboren, eine zivilisatorische Zäsur.

Wie es in den Künsten nach allen Ab- straktionen und Fragmenten die Sehnsucht gibt nach der wieder fassbaren Figur (in der Malerei) und dem unzersplitterten Erzählen (in der Literatur, im Theater) und wie sich dort die strenge Scheidung von Hoch und Niedrig, E- und U-Kultur aufgelöst hat, so könnten sich Hightech und Lowtech, Global- und Lokalwirtschaft demnächst neu vereinen. Es wäre für Mensch und Natur vermutlich kein Rückschritt.

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