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Kultur: Ende eines Prozesses

Welche Rolle spielten die Franzosen während der Kollaboration?Frankreich hat das Geschichtsbuch an der Stelle, an der die "dunklen Jahre" während der Nazi-Besatzung von 1940 bis 1944 verzeichnet sind, aufgeschlagen und sich dem quälenden Prozeß der Selbstbefragung unterzogen.

Welche Rolle spielten die Franzosen während der Kollaboration?Frankreich hat das Geschichtsbuch an der Stelle, an der die "dunklen Jahre" während der Nazi-Besatzung von 1940 bis 1944 verzeichnet sind, aufgeschlagen und sich dem quälenden Prozeß der Selbstbefragung unterzogen.Welche Rolle spielten die Franzosen während der Kollaboration? So lautet die Frage, über die Frankreich schon seit Jahrzehnten mit sich selbst ins reine zu kommen versucht.Nach Ermittlungen, die sich 16 Jahre hinschleppten, nach einem monatelangen Prozeß, dessen Ausgang am Ende noch durch den Tod der Ehefrau des Angeklagten verzögert wurde, gibt es nun eine Antwort: Maurice Papon, der zwischen 1942 und 1944 Generalsekretär der Präfektur von Bordeaux gewesen und dabei am Abtransport von Juden beteiligt war, ist zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, bleibt aber bis auf weiteres auf freiem Fuß.Nach dem Urteil herrscht in Frankreich zunächst einmal betroffenes Schweigen.Erleichtert sind die wenigsten.Die letzte lange Nacht am Schwurgericht von Bordeaux, hinter schußsicherem Glas die versteinerte Miene des 87jährigen Papon, der sich anschließend auf die Heimreise nach Paris macht - viele Franzosen müssen diese Szenerie am Ende des symbolträchtigen Prozesses als einen merkwürdigen Kontrapunkt zu den Erwartungen betrachten, mit denen das wohl letzte Kriegsverbrecher-Tribunal beladen worden ist.Noch steht das Revisionsverfahren an.Aber darum geht es nur in zweiter Linie.Der schale Beigeschmack, mit dem das Urteil gegen Papon gouttiert wird, hat weniger mit der juristischen Feinheiten und der Frage von Papons Haftverschonung zu tun.Er rührt eher aus der Sorge, daß in Frankreich mit dem Fall Papon auch wieder das Kapitel der "dunklen Jahre" geschlossen werden könnte. Anders als bei den Gerichtsverfahren gegen den SS-Führer Klaus Barbie, den "Schlächter von Lyon", und seinen Handlanger Paul Touvier stand mit Maurice Papon das offizielle Frankreich auf der Anklagebank.Der in der Nazi-Zeit notorische Lyoner Milizchef Paul Touvier, der vor seiner Verhaftung jahrelang im Dunkel von Klosterzellen untergetaucht war, hatte vor allem die katholische Kirche in Frankreich wegen ihres Langmuts gegenüber dem Nazi-Kollaborateur in Mißkredit gebracht.Mit Maurice Papon stand aber einer vor Gericht, dessen Karriere sich nach 1945 im Licht höchster politischer Begünstigung abgespielt hatte.Seither ist das Eingeständnis, daß Frankreichs Geschichtsbild zwischen heldenhaftem Widerstand und schändlicher Kollaboration auch viele Grautöne aufweist, zwar nicht zur offiziellen Staatsdoktrin, immerhin aber auch im Elyséepalast bestätigt worden.François Mitterrand hatte noch 1990, zum 50.Jahrestag der Widerstandsrede von Charles de Gaulle, den "homme du 18 juin" geehrt - aber später auch das Andenken des Marschall Pétain aufrecht erhalten.Letztlich ist es erst der heutige Hausherr im Elysée, Jacques Chirac, gewesen, der mit einem beherzten Diskurs das offene Reden über Frankreichs Schuld während der "dunklen Jahre" ermöglicht hat.Nun fürchten manche, daß mit dem Urteil gegen Papon diese Debatte wieder ein Ende hat. ame

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