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Kultur: Endorphinflut

Die Flaming Lips auf dem Greenville Festival in Paaren.

Von Jörg Wunder

Bei dem weiten Bogen, den die Flaming Lips in den letzten zehn Jahren um Berlin gemacht haben, wundert es kaum, dass ihr erstes Konzert wenigstens in Hauptstadtnähe an einem seltsamen Ort stattfindet. Das Märkische Ausstellungs- und Freizeitzentrum, kurz MAFZ, in Paaren im Glien ist die Location für ein dreitägiges Open-Air-Festival mit dem schönen Namen Greenville. Noch gehört es nicht zu den etablierten Sommerspektakeln wie Melt: Trotz respektablen Line-ups verlieren sich am Freitagabend vielleicht 3000 Zuschauer auf dem riesigen Areal. Immerhin, die äußeren Bedingungen sind perfekt: Die Tageshitze ist einem angenehmen Lüftchen gewichen, ein zunehmender Mond hängt fahl am Himmel, und alle sind gespannt, ob die Freakrocker aus Oklahoma City ihrem Ruf als legendäre Liveband gerecht werden.

Die Antwort dauert keine fünf Minuten. „Race For The Prize“ heißt die fantastische Eröffnungsnummer, ein schon auf Platte berauschendes Stück psychedelischer Rockmusik. Hier aber wird man mit zwei Konfettikanonen beschossen, Dutzende mannsgroßer Luftballone hüpfen über den Köpfen, irisierende Muster flackern auf einer gewaltigen LED-Leinwand. Scheinwerfer tauchen das Szenario in gleißendes Licht, während Sänger Wayne Coyne wie ein irrer Impresario seine vier Begleiter dirigiert und sich an den 15 vielleicht aus der Dorfjugend gecasteten Tänzerinnen erfreut – ein überwältigender Beginn, der einen sofort mit Endorphinen durchflutet, während man die Arme über den Kopf reißt und enthemmt herumspringt. Kaum hat man sich erholt, schlüpft Coyne in eine transparente Gummikugel und lässt sich übers Publikum rollen, während die Band den Science-Fiction-Beat des Pink-Floyd- Klassikers „On The Run“ intoniert.

Es wird aber auch klar, warum die Flaming Lips nicht viel erfolgreicher sind. Denn die Inkonsistenz ihrer Karriere übertragen sie auch auf einen Auftritt, für den ihnen lediglich ein Zeitfenster von 75 Minuten bleibt. Natürlich könnten sie ein alle wegblasendes Destillat ihrer größten Songs spielen. Stattdessen gönnen sie sich längliche Spacerock-Explorationen, minimalistische Gitarrensoli und zähes Synthesizer-Gewaber, während Coynes leidenschaftlich verzerrtes Gesicht die Leinwand ausfüllt. Für Freunde drogeninduzierter Rockmusik ist das natürlich ein Fest, aber als Erstbegegnung – davon ist bei den meisten Zuschauern auszugehen – durchaus verstörend. Zum Schluss bündeln sie noch mal ihre Fähigkeiten: „Do You Realize?“ ist eine Jahrzehnthymne, die auf irrwitzige Weise die Beach Boys mit Techno versöhnt. Und wieder gibt’s das volle Programm: Konfetti, Laser, Ekstase. Das ganze Leben ist eine Hüpfburg. Glückstrunken zerstreut sich die Menge. Der Acker ist bestellt für Deichkind, die zwei Stunden später als letzte Band auftreten. Jörg Wunder

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