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Kultur: Endspiel in der Pampa

Fabelhaft: Eduardo Sacheris „Warten auf Perlassi“

Wahrscheinlich hat in keinem Land auf der Welt der Fußball eine so stark religiöse Funktion wie in Argentinien. Überhaupt ist es in Südamerika zwar nicht üblich, aber doch möglich, als Spieler nach einer schlechten Leistung um das eigene Leben fürchten zu müssen. Fans kennen keine Gnade.

Da gab es also einen Tag im Leben von Aráoz. Er war sechs Jahre alt; der Vater und der Onkel hatten ihn ins Stadion mitgenommen; ihr Fußballverein war sensationellerweise in die erste Liga aufgestiegen und kämpfte um den Klassenerhalt. Ein Punkt fehlte; es lief die letzte Minute, es stand 0:0. Der gegnerische Stürmer läuft auf das Tor zu; Perlassi, der Abwehrspieler und Volksheld hinterher. Und Perlassi unternimmt – nichts. Keine Grätsche, kein Foulspiel. Der Stürmer erzielt das Tor; der Verein steigt ab. Nun wartet Aráoz auf Perlassi. 35 Jahre später. An einem gottverlassenen Ort namens O'Connor, an einer Tankstelle, die von Perlassi geführt wird. Der ist nicht da, sagt der alte Lépori. Tag für Tag und stets vergeblich.

Daraus entwickelt sich ein Kammerstück von höchstem Unterhaltungswert, stets in der Balance zwischen Komödie und Tragödie. Denn selbstverständlich wartet Aráoz nicht auf Perlassi, sondern auf die Rückkehr seines verlorenen Lebens. Die Niederlage des Klubs war der Beginn seines Niedergangs. In O'Connor drängelt sich Aráoz’ Erinnerung machtvoll nach vorne – an den brutalen Vater, der sich eines Tages aus dem Staub gemacht hat. An die Frau, die ihn nach 24 Jahren Beziehung ebenfalls verlassen hat.

Aráoz will „kein guter Mensch mehr sein“. Und er will etwas zurückhaben, doch ist er da bei dem stoischen Lépori an den Falschen geraten, und bei Perlassi erst recht, denn der ist ja gar nicht da. Oder vielleicht doch? Die Tage vergehen. Da draußen in der Pampa trinkt man Matetee oder angelt. Je unspektakulärer die Außenwelt, desto intensiver wird Aráoz' Auseinandersetzung mit sich selbst.

Die deutsche Übersetzung spielt zu Recht auf Beckett an – an grotesken Szenen ist „Warten auf Perlassi" nicht arm. Man muss sich nicht für Fußball interessieren, um die aufrichtige Verzweiflung zu spüren, von der Sacheris Roman durchzogen ist. Wie problematisch der Fußball als Metapher sein mag – hier gehen Literatur und Fantum eine prächtige Verbindung ein. Christoph Schröder

Eduardo Sacheri: Warten auf Perlassi. Roman. Aus dem

Spanischen von

Matthias Strobel.

Berlin Verlag,

Berlin 2010.

224 Seiten, 19,90 €.

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