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Kultur: Engel auf Erden

Hendrik Hölzemanns Debüt „Kammerflimmern“

Wenn der grüne Monitor auf der Unfallstation „äußerst rasche und ungleichzeitige Zusammenziehungen einzelner Muskelfasern“ anzeigt, erkennt der Unfallarzt, dass „eine geordnete Tätigkeit der Herzmuskulatur unmöglich“ und der Zustand der eingelieferten Person „lebensbedrohlich“ ist. Auch Crash, wie der junge Sanitäter eines (fiktiven) Kölner Rettungsdienstes seiner Daueraufregung wegen genannt wird, weiß dann Bescheid, ohne wie wir im Brockhaus unter „Herzflimmern“ nachschlagen zu müssen. Ihm selbst kann nichts passieren, meint Crash, sprang er dem Tod doch schon mit sieben von der Schippe, als die Eltern mit dem Auto gegen einen Baum rasten. Sie waren sofort tot, während er sich auf sein Skateboard schwang und davonfuhr – so sieht es Paul immer wieder in seinen Träumen.

Hendrik Hölzemann porträtiert in seinem Abschlussfilm von der Filmakademie Ludwigsburg (wo er Drehbuch studierte) einen herzensguten Menschen, der gern helfen und retten will. Auch wegen eines vom Alkohol benebelten alten Mannes, der hilflos an einer Straßenecke liegt und für den kein Notruf einging, lässt Crash den genervten Fahrer Fido (drastisch: Jan Gregor Kremp) anhalten. So viel Zuwendung hilft den Betroffenen kaum und kann auch den Sprung einer jungen Selbstmörderin vom Hochhausdach nur um Minuten hinauszögern. Dabei steht Crash den Gefahren des Lebens schutzlos gegenüber. Doch vor die Katastrophe hat das Leben das Scheinglück gesetzt. In einer Hochschwangeren namens „November“ (Jessica Schwarz verleiht ihr sinnliche Präsenz) begegnet Crash der Frau seiner Träume. Als Tröster und Liebhaber kommt er zur rechten Zeit, denn der Kindsvater ist gerade an einer Überdosis gestorben.

Wer einem Rettungsdienst bei der Arbeit zuschauen will, muss einiges verkraften können – und wenn die diensthabende Ärztin „Dr. Tod“ genannt wird, darf man mit dem Schlimmsten rechnen. Aber das Hinsehen lohnt sich: „Kammerflimmern“ zeigt die Großstadt als permanenten Notfall. Als Maschinerie, die täglich ihre Un- und Notfälle routiniert beiseite räumt: auf die Stationen.

Hölzemann will Authentizität – und zugleich selber am Schreib- und Schneidetisch mit dem Leben spielen. Er lässt Köln ziemlich verrückt aussehen, montiert in einem fort Rückblenden, Traumbilder, Handlungssprünge: zu viel. Matthias Schweighöfer gewinnt Crash viel Sympathie ab, künstlich bleibt die Figur trotzdem. Crash, ganz aus dem Geist der Romantik, ist ein wandelnder Engel auf Erden, dem die Liebeslust zum Verhängnis wird. Und sein Regisseur scheint gern zu träumen.

Kulturbrauerei, Cinemaxx Potsdamer Platz, Zoo Palast

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