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Kultur: Engel im Keller

GENERATION 14 PLUS Herausforderungen für die Jugend.

Die Sektion Gerneration 14 Plus ist längst kein Geheimtipp mehr. Bei den Jugendlichen, an die sie sich in erster Linie richtet, ist sie beliebt, weil ihre Filme in der Erlebniswelt von Heranwachsenden spielen. Sie erzählen davon, an einer Schwelle zu stehen, Verantwortung übernehmen oder einschneidende Entscheidungen treffen zu müssen. Die Erfahrungen, die die Protagonisten dabei machen, sind unterschiedlich: Manche sehen den Schritt als eine spannende Herausforderung, andere sind mit der Komplexität des Erwachsenwerdens überfordert und verzweifeln am Verlust von Kindheit, Unschuld und Sicherheit. Es sind einfühlsame, unkonventionelle Filme, die auch ein Publikum anziehen, das den Schritt zum Erwachsensein längst hinter sich gebracht hat. Wer sich für unterhaltsames, internationales Independent-Kino interessiert, kommt auf seine Kosten.

Traditionell finden sich in der 14Plus-Auswahl viele Debüts, in den letzten fünf Jahren ging der sektionsübergreifende First Feature Award gleich viermal an Generation-Filme. Auch diesmal sind fast die Hälfte der Filme Erstlingswerke, darunter die vier hervorragenden Filme aus Lateinamerika, die so etwas wie einen regionalen Schwerpunkt der Reihe bilden. Aus Kuba kommt das eindringliche Flüchtlingsdrama „Una Noche“, dem es gelingt, zwischen Unterdrückung und Stagnation auch unbeschwerte Momente der Freiheit und des Glücks zu beschwören: In einer Welt ohne Zukunft zählt eben nur der Augenblick.

Ebenso ruhig wie präzise beobachtend erzählen „Noilatiaj“, „La Belleza“ (aus Argentinien) und „Un Mundo Secreto“ (aus Mexiko) von ihren Protagonistinnen: hier das indigene Mädchen Yola, das in einer katholischen Großfamilie als Haustochter lebt und von der gleichaltrigen Gastschwester um ihre schönen langen Haare beneidet wird; dort die Einzelgängerin Maria, die sich am Morgen nach ihrem Schulabschluss aus dem Haus ihrer Mutter schleicht und eine Reise quer durch Mexiko beginnt. Dabei überwindet sie ihre Isolation und macht verschiedene Bekanntschaften, bewahrt aber ihre Autonomie, indem sie sich konsequent morgens davonstiehlt.

Der bemerkenswerteste und sicher kontroverseste Film der Reihe ist „Joven & Alocada“ aus Chile, empfohlen für Zuschauer ab 16 Jahre. Er handelt von Daniela, die einerseits in einer evangelikalen Sekte aufwächst, andererseits ein ausschweifendes Sexualleben führt und darüber in ihrem Blog schreibt. Regisseurin Marialy Rivas meistert die Balance zwischen Suggestion und Deutlichkeit, sensiblem Teenagerporträt und assoziativer Collage. Wegen der vielen expliziten Szenen dürften es die meisten jugendlichen Zuschauer allerdings vorziehen, den Film nicht in elterlicher Begleitung zu sehen.

Drei dieser vier Filme (sowie fünf der sieben Erstlingsfilme und insgesamt fast die Hälfte der gesamten Reihe) stammen von Regisseurinnen – Quoten, von denen die anderen Sektionen weit entfernt sind. Auch in dieser Hinsicht hat 14plus ein klares Profil herausgearbeitet. Unter den Beiträgen weiblicher Debütanten sind auch die beiden vielleicht schönsten Filme des Programms: die hinreißende Vater-Tochter-Komödie „Orchim LeRega“ aus Israel sowie der Eröffnungsfilm „Electrick Children“, der mit „Joven & Alocada“ den Kosmos des fundamentalistischen Christentums gemein hat. Hier ist es eine fortschrittsfeindliche Mormonenkolonie in Utah, in der die 15-jährige Angel aufwächst. Eines Nachts schleicht sie sich in den Keller, hört Musik von einem Kassettenrekorder – und ist kurz darauf schwanger. Wie kaum anders zu erwarten, muss sie feststellen, dass unbefleckte Empfängnis auch für Leute, die eigentlich fest daran glauben, eine Herausforderung darstellt. David Assmann

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