zum Hauptinhalt

Kultur: Engelstanz Nacho Duato eröffnet Movimentos in Wolfsburg

Es ist ein langer Weg nach unten. Von der Spitze des zierlichen Glasturms wirft der Mann im Anzug einen sehnsuchtsvollen Blick herab und wagt dann entschlossen den Abstieg.

Von Sandra Luzina

Es ist ein langer Weg nach unten. Von der Spitze des zierlichen Glasturms wirft der Mann im Anzug einen sehnsuchtsvollen Blick herab und wagt dann entschlossen den Abstieg. Unten angekommen, ist er ein anderer. Ein Engel.

Nacho Duato ist dieses Geisteswesen in anmutiger Gestalt. Eine Weile ist der Spanier, Leiter der Compañia Nacional de Danza aus Madrid und international gefeierter Choreograf, nicht mehr aufgetreten. Dass er sich nun in „Alas“ zeigt, ist Tomaz Pandur zu danken. Der slowenische Regisseur, berühmt durch seine bildmächtige Theaterfassung von Dantes „Divina Commedia“, hatte eine Vision. Für seine erste Zusammenarbeit mit Duato dachte er an Virginia Woolfs „Orlando“, aber dann kam ihm Wim Wenders’ legendärer Film „Der Himmel über Berlin“ in den Sinn – und Duato als Engel. Nach der Uraufführung in Santander Ende April erlebt „Alas“ morgen seine Deutschlandpremiere beim Movimentos-Festival der Autostadt Wolfsburg.

Duato und Pandur hatten keine Paraphrase des Films im Sinn, dennoch ist die Aufführung eine Hommage an Wenders und Ko-Autor Peter Handke. Duatos Part ist angelehnt an die Figur des Damiel, den Engel, der seiner Geistesexistenz müde ist. Er will sich „erdfest“ machen, will fühlen, begreifen. Er verliebt sich: „Wings of Desire“ heißt der Film auf Englisch. Dies zirkulierende Begehren weiß der Choreograf sichtbar zu machen. Zur Musik von Arvo Pärt laufen vier Paare über die Bühne, darunter auch ein Männer-Duo. Die Bewegungen sind zwischen Himmel und Erde gespannt, doch Duato, berühmt für seinen weichfließenden Stil, beherrscht die Kunst des Übergangs. Die Tänzer springen, gleiten, sinken. Meistens schweben sie millimeternah über dem Boden, aber unwiderruflich zieht es sie nach unten. Und sie treiben wieder auseinander. Was sie vereint, das trennt sie auch.

Es ist das Gewicht der Welt, das Duato seine Tänzer erfahren lässt. Sie kosten das Irdische aus, binden das Leichte an das Schwere zurück, das gibt dem Tanz eine wunderbare Sinnlichkeit. Die Leitfigur des Abends aber ist Nacho Duato. Wenn er in einen Korridor aus Licht tritt, scheint sein Körper zu implodieren. Das ist sein Eintritt in die Zeit, seine erste Konfrontation mit der Sterblichkeit. Duato, die Lichtgestalt, bewegt sich verhalten, tanzt mit der Stimme, spricht mit dem Körper. Er trägt Fragmente des Handke-Texts vor, Strophen aus dem „Lied vom Kindsein“. Ein Frage-Spiel: „Warum bin ich ich, und warum nicht du? Warum bin ich hier, und warum nicht dort?“

Duato und Pandur zeigen eine poetische Meditation über Ewigkeit und Zeit, Unsterblichkeit und Tod. Dann wird das Himmel-und-Hölle-Spiel gespielt, und die entfesselte Gruppe in schwarzer Lederkluft erscheint wie eine Gang von Nihilisten. Der Engel ist hin- und hergerissen zwischen Befremden und Anteilnahme. Am Ende wird die Bühne geflutet, und Duato sinkt nach einem letzten Flugversuch ins Nasse wie ein verendender Fisch. Nun erst ist er ganz unten. Gleichzeitig beginnt erneut der Aufstieg. Eine Schar von Tänzern steigt den Turm hinauf. Hinter den halbtransparenten Scheiben sieht man eine Kette von Körpern, die Himmel und Erde verbindet wie eine Nabelschnur.

Autostadt Wolfsburg, 4. – 7. Mai., 20 Uhr, Infos: www.movimentos.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false