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Performerin Sonja Chang aus "We Are the Play".

© Susan Paufler

English Theatre: "We Are the Play": Im Schatten der Mauer

Jene Tage im November: Das English Theatre Berlin lädt zur Geschichts-Tour „We Are the Play“.

Die freundlichen jungen Damen, die als Tourguides über das Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer führen, lassen Geschichte lebendig werden. Nicht nur Fakten über Todesstreifen und Mauerlänge. Sondern vor allem jenen Tag im November 1989, an dem SED-Mann Günter Schabowski durch sein Gestammel über die Reisegesetzreform versehentlich die Grenzen öffnete. Schon 25 Jahre her, Kinder, wie die Zeit vergeht. Ein Grund zum Feiern jedenfalls, man könnte jetzt die Nationalhymne anstimmen. Wäre da nicht diese verrückte Frau auf dem Fahrrad. Die umkreist die Gruppe und ruft unentwegt „25 Jahre Lügen“. Will von ihren türkischen Eltern erzählen, die mit den Deutschen den Mauerfall feierten, aber bald nach der Wende ihre Jobs verloren. Das kann eine der Fremdenführerinnen allerdings kontern. Die stammt nämlich aus dem Osten. „Deine Eltern haben ihre Arbeit verloren. Meine ihr ganzes Land“. Jetzt wird’s doch irgendwie ungemütlich.

„We Are the Play“ heißt die Performance auf dem Mauergelände, die Regisseurin Chang Nai Wen mit ihrer Gruppe „Sisyphos, der Flugelefant“ inszeniert hat. Sie ist Teil eines mehrmonatigen Projekts des English Theatre Berlin mit dem schönen Titel „25 Jahre Mauerfall or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Ossis/Wessis“. Eine Recherchereihe über die Wiedervereinigung aus Expat-Perspektive, die inspiriert ist von der szenischen Wende-Collage „The Berlin Circle“ des amerikanischen Autors Charles Mee.

Das Ossi-Wessi-Projekt des English Theatre umfasst einen Audio-Walk vom Berliner Ensemble zum Checkpoint Charlie (wieder 9. November) oder eine Performance der Gruppe copy & waste rund ums Kottbusser Tor (Premiere: 20. November). Und eben „We are the play“. Eine durchweg erhellende, sehr mitnehmende Exkursion, die Regisseurin Nai Wen auf der Grundlage von Zeitzeugen-Interviews mit teils afrodeutschen oder asiatischstämmigen Performern erarbeitet hat. Sie stößt auf ziemlich elementare Fragen: wessen gedenken wir nach 25 Jahren eigentlich? Und wer darf mitfeiern?

Um die Verlierer des Mauerfalls geht es. Um die Ostdeutschen, die erst auf die Straße gingen und dann auf der Straße landeten. Um die Arbeitsmigranten und ihre Kinder, deren Perspektive allzu gern ausgeblendet wird, wenn das Ende der DDR besungen wird. Zuletzt hat ihre Geschichte Regisseur Hakan Savas Micans in seinem großartigen Stück „Die Schwäne vom Schlachthof“ am Ballhaus Naunynstraße thematisiert.

Auch in Wens touristisch aufgezogene Führung mischen sich immer mehr irritierende Erzählungen. Von vietnamesischen Vertragsarbeitern, die in der DDR keine Kinder bekommen durften und nach der Wende mit 3000 Mark Abfindung in die Heimat zurückgeschickt werden sollten. Vom 5-jährigen Cetin Mert, der am Gröbenufer unter den Augen der Grenzbeamten ertrank. Von der jungen Vietnamesin, die Anfang der 90er zum Studium nach Leipzig geht und von Skinheads im Auto verfolgt wird, die „Fidschi, Fidschi“ rufen. Schlaglichter auf die Schattenseite der Geschichte. Eindrücklich ist allein das Bild des Mannes aus Mosambik (gespielt von Para Kiala), der verloren durch eine Menge wandert, die „Freiheit!, Freiheit!“ skandiert. „We Are the Play“ endet zwar in der Kapelle der Versöhnung. Verweist aber auf all die Brüche, die auch zum Jubiläum gehören.

Wieder am 13. und 14. September, 18.–21. September, 25.–28. September, jeweils 19 Uhr. Treffpunkt: Besucherzentrum Gedenkstätte Berliner Mauer. Mehr Informationen: www.etberlin.de

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