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Der Dramatiker Odon Von Horvath starb 1938 bei einem Unfall.

© imago/ZUMA/Keystone

Entdeckung eines Dramas: Unbekannter Horváth für 11 000 Euro versteigert

Es ist eine Sensation: Von einem der berühmtesten Dramatiker des 20. Jahrhunderts, Ödön von Horváth, ist ein bisher völlig unbekannter Stücktext zur Versteigerung gelangt.

Bei seiner zweitägigen Frühjahrsauktion hat das renommierte Berliner Antiquariat und Autographen-Handelshaus J. A. Stargardt ein 95-seitiges Typoskript mit dem Titel „Niemand“, Unterzeile „Tragödie in sieben Bildern von Ödön von Horváth“, zum Schätzpreis von 8000 Euro angeboten. Der maschinengeschriebene Text ging gestern Vormittag gegen 11 Uhr im Berliner Kempinski Bristol Hotel für nur 11000 Euro an einen zunächst ungenannten telefonischen Bieter. Er erwarb das Skript für die Wienbibliothek, das Archiv der Stadt Wien.

Der Fall ist einigermaßen kurios. Das Typoskript des Berliner Buch- und Bühnenverlags „Die Schmiede“ nennt im Copyright das Jahr 1924. Im selben Verlag war 1924, im Todesjahr des Autors, auch Franz Kafkas Erzählungsband „Ein Hungerkünstler“ und Joseph Roths „Hotel Savoy“ erschienen, ein Jahr später dort auch Kafkas Roman „Der Process“ sowie Prosa von Alfred Döblin. Allerdings schlingerte das Unternehmen in die Pleite und wurde Ende der 20er Jahre geschlossen. Ödön von Horváth (1901 – 1938) war 1924 öffentlich noch unbekannt, seine Erfolgsstücke wie „Geschichten aus dem Wiener Wald“ oder „Glaube Liebe Hoffnung“ sind erst Anfang der 30er Jahre entstanden.

Der damals 23-jährige Debütant wäre mit dem offenbar stark expressionistisch gefärbten Frühdrama um einen jungen Krüppel im Trinker- und Hurenmilieu also an einer guten Adresse gewesen. Merkwürdig nur, dass der mit einigen Bleistiftanmerkungen (von wem?) markierte und hier als Bühnenvorlage in blauer Schrifttype hektografierte Text weder in Horváths umfänglich ediertem Werk samt Briefen, Kommentaren, Fragmenten eine Spur hinterlassen hat, noch in irgendeinem Theaterarchiv. Traugott Krischke, der 1996 verstorbene Herausgeber der 14-bändigen Horváth-Gesamtausgabe bei Suhrkamp, hatte in seiner 1980 erschienen Biografie über Horváth als „Kind seiner Zeit“ das „Niemand“-Stück immerhin als Gerücht erwähnt. Ebenso Axel Fritz in einem früheren Buch über den 1938 im Pariser Exil von einem Baumast erschlagenen Dichter.

Der bisherige Besitzer ist anonym, möglicherweise war der Text in einem Nachlass lange verschollen. Das Originalmanuskript hatte Horváth als Frühwerk vermutlich vernichtet. In Wien, wo Horváths eigener Nachlass ruht, darf man nun die Prüfung und späte Veröffentlichung des unbekannten Stücks erwarten.

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