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Kultur: Entführt den Tenor!

Musik über Land:Ulrichshusen kredenzt Flotow, die KammeroperRheinsberg spielt Händel

Gleich hinter Rambow, dort, wo die mecklenburgische Schweiz am lieblichsten ist, werden Mordpläne geschmiedet. Ein Alter feilscht mit zwei Profikillern. Den Tenor, der ihm seine Angebetete weggeschnappt hat, will er tot sehen, doch die Ganoven sträuben sich, wollen der Musikwelt den bedeutenden Interpreten entreißen und treiben damit geschickt den Preis in die Höhe. Dass die Geschichte doch glimpflich ausgeht, ist dem edlen Ritter Friedrich von Flotow zu verdanken. Auf Schloss Ulrichshusen wird seine Oper „Alessandro Stradella“ gegeben. Seit zehn Jahren ist der Stammsitz der Familie von Maltzahn mit der zur größten Konzerthalle des Landes umfunktionierten 900-Plätze-Scheune zentraler Spielort der „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“. Da wurde es Zeit für die Hommage an einen Nachbarn.

Gleich um die Ecke von Ulrichshusen, auf Gut Teutendorf, wurde nämlich jener Künstler geboren, der vor allem mit seiner „Martha“ zum Liebling des Biedermeierpublikums wurde. Als Mecklenburgs Antwort auf den Pariser Modekomponist Auber belieferte der wackere Tonsetzer die deutschen Stadttheater mit Unterhaltungsware. Darum biegt sich Flotow auch das Schicksal des Gesangsstars Alessandro Stradella zurecht. Obwohl der römische Tenor in Wahrheit tatsächlich Opfer eines eifersüchtigen Nebenbuhlers wurde, musste für die 1844 uraufgeführte Oper ein Happy-End her.

Dementsprechend harmlos präsentiert sich der Dreiakter, die beiden Mörder sind recht fidele Gesellen. Für die Ulrichshusener Aufführung, ein Gastspiel des stets um Musiktheater-Raritäten bemühten WDR-Rundfunkorchesters Köln, ist das Buffo-Paar Bernhard Schneider und Johannes Martin Kränzle gewiss die Idealbesetzung. Auch Jörg Dürmüllers deutlich zum Heldischen strebender Tenor passt zu einem Schwerenöter wie Stradella, der zuerst sein Liebchen vermittels sentimentaler Serenade vom Balkon lockt und später bei der berühmten Marien-Hymne ältere Wunschkonzert-Hörerinnen zum Taschentuch greifen lässt.

Treibende Kraft bei der konzertanten Aufführung aber ist Sabine Paßow: Ihr liegt die vergessene Oper wirklich am Herzen. Noch die unbedeutendste Wendung serviert sie mit rückhaltloser Hingabe. Nur will die Soubretten-Partie der Leonore leider nicht mehr so recht zur stimmlichen Verfassung der mittlerweile als Wagner-Interpretin gefeierten Sopranistin passen. Ein schlechter Anwalt der Partitur ist dagegen ihr Kollege Helmut Froschauer, der aus dem eleganten Divertissement mit italienischem Kolorit plumpe Kurkapellenmusik macht, indem er das mäßig motivierte WDR-Orchester zu derbem Dauerfortissimo anhält.

Wenig Freude verbreitet derzeit auch das Prenzlauer Kammerorchester, 70 Kilometer weiter südlich beim „Festival zur Förderung junger Sänger“ auf Schloss Rheinsberg. Roger Boggasch hat für Händels „Otto und Theophanu“ mit den Musikern intensiv barocke Musikrhetorik trainiert. Doch die innere Lebendigkeit des Klangs, wie man sie von Spezialistenensembles kennt, vermag der Dirigent nicht herauszukitzeln. So schleppt sich der Abend im Schlosstheater elegisch dahin, weil auch Regisseur Harry Kupfer wenig mit der Räuberpistole rund um die Hochzeit des deutschen Kaisers Otto II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu im Alten Rom anzufangen weiß.

Für die jungen Sänger war es zweifellos ein Erlebnis, mit dem Altmeister proben zu dürfen, der Zuschauer dagegen ist nicht zufrieden. Wer an die „Jeder vergibt jedem“-Problemlösung nach barockem Geschmack nicht glaubt, soll lieber die Finger von dieser Händel-Oper lassen. Personenregie findet zwar statt – aber keine Interpretation: Auf den drei von Hans Schavernoch eingerichteten Bühnenwellen könnte jedes Stück spielen. Allein die Kostüme von Yan Tax versuchen durch den raffinierten Mix aus Antikenzitat und aktueller Mode Kontakt zur Lebensrealität der Akteure aufzunehmen.

Dennoch: Wie die Nachwuchssolisten über die Spielfläche toben, sich in ihre Arien werfen, ist auch in diesem Jahr wieder mitreißend. Countertenor Andreas Taubert bleibt als Titelheld in jeder Situation stimmlich souverän, Olga Peretyatko schafft es, den Hörer für die Seelennöte der Theophanu zu interessieren, Yasushi Hirano hat komisches Talent und dazu einen kernigen, koloraturgewandten Bass.

Beim Picknick im lieblichen Rheinsberger Schlosspark wehten am Nachmittag Mozart-Töne aus dem Heckentheater herüber. Hier bringt die zweite Truppe am 6. August die „Zauberflöte“ heraus. Altes Spiel, neues Glück.

Infos: www.Kammeroper-SchlossRheinsberg.de, www.festspiele-mv.de

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