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Kultur: Enthusiasmus siegt

Erfolgreich etabliert: zum Abschluss des Internationalen Literaturfestivals Berlin

„Weltliteraturtreffen“, „temporäre Republik der Literaten“, „A-Festival der Literatur“ – das Internationale Literaturfestival Berlins, dessen sechste Ausgabe am gestrigen Sonnabend zu Ende ging, schmückt sich gern üppig, und das nicht zu Unrecht. Zwölf Tage lang hat dessen Leiter Ulrich Schreiber von früh bis spät im Haus der Berliner Festspiele, in Schulen, Museen, Cafés und Gefängnissen lesen und diskutieren lassen. 125 Autoren und Intellektuelle aus aller Welt traten in 190 Veranstaltungen auf: Prominente wie Isabel Allende, Doris Lessing, Jostein Gaarder und der Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian, von Kennern hoch geschätzte Autoren sowie viele hierzulande Unbekannte. Die Eröffnungsrede des greisen Kariben Edouard Glissant über die Schönheit als Ergebnis von Differenzen ließ sich auch als Loblied auf dieses überbordende Füllhorn verstehen.

Die 48 Seiten starke Broschüre mit den Lesungen, Diskussionen, Filmen und Konzerten erinnert nicht zufällig an die Berlinale. An ihr hat sich Ulrich Schreiber, ein ehemaliger Architekt, immer orientiert. Im Alleingang setzte er sein Festival mit einer kleinen Mannschaft und Hunderten von enthusiastischen Praktikanten durch. Schreiber kombiniert Chaos und Selbstausbeutung der Off-Kultur mit den Ansprüchen der etablierten Kultur auf den Glanz großer Namen bei gleichzeitigem Engagement für Unbekannte. Erfahrene Schauspieler, Übersetzer und Moderatoren arbeiten zu Freundschaftspreisen. Während die „lit.Cologne“ Erfolge mit Fernsehgrößen und Talkshowformaten feiert, setzt Berlin auf die klassische Lesung mit Gespräch, gerahmt durch Musik und Bühnenbild.

Mittlerweile scheint das Literaturfestival etabliert. Vor zwei Jahren schlüpfte es bei den Berliner Festspielen unter, dessen Intendant, der Lyriker Joachim Sartorius, sich über die Abrundung seines internationalen Musik- und Theaterprogramms freute. Die institutionelle Anbindung brachte Sicherheit und Professionalisierung, erhöhte aber auch den Druck der Geldgeber, endlich die Dumpinghonorare aller Beteiligten aufzustocken. Daher war die Zahl der Autoren und Veranstaltungen dieses Jahr erstmals um ein Drittel kleiner. Dennoch fiel die der Besucher nur um 2000 auf 30 000. Ein gutes Drittel davon stellen Schüler in den durchweg ausverkauften Veranstaltungen mit Kinder- und Jugendbuchautoren.

Für die schwierigen Gespräche mit Geldgebern könnte es keine besseren Zahlen geben. 2007 will der Hauptstadtkulturfonds zum letzten Mal 350 000 Euro geben, 2008 ist völlig offen. Joachim Sartorius hat Bund und Stadt in seiner Eröffnungsrede freundlich um eine dauerhafte Förderung gebeten, Ulrich Schreiber tat es recht unwirsch. Die Verhandlungen treten offenbar auf der Stelle, nicht zuletzt, weil die Förderer damit rechnen müssen, dass das konkurrierende und in gleicher Höhe geförderte Poesiefestival der Literaturwerkstatt dieselben Ansprüche erhebt.

Die chronische Unterfinanzierung zwingt das Literaturfestival zu umfangreichen Kooperationen. Dass viele Schriftsteller von europäischen Kulturinstituten, dem Haus der Kulturen der Welt und dem DAAD eingeladen werden, ist sicher zu begrüßen. Problematisch ist der Einfluss von Verlagen, die das Festival zur Vermarktung nutzen und nicht selten sogar den Verlagslektor als Moderator auftreten lassen. Die Anwesenheit beinahe aller Publikumsmagneten dieses Jahres verdankte sich offenbar den Werbeetats von Suhrkamp, Hanser, Luchterhand, Aufbau und S. Fischer. So riskiert das Festival Unabhängigkeit und Ruf.

Ähnlich sieht es bei den Diskussionsveranstaltungen aus. „Wir promoten den Film“, sagte einer der ehemaligen Guantánamo-Häftlinge gleich zu Beginn eines Gesprächs über das US-Gefangenenlager auf Kuba. Zudem fehlt ein stringentes Konzept: Wie sollen China, die Digitalisierung, die Zukunft Lateinamerikas und der Islamismus in je anderthalb Stunden abgehandelt werden? Das Festival will bei allen Problemen der Welt mitreden und verzettelt sich.

Nach den Berg- und Talfahrten der vergangenen Jahre sehne er sich nach den Mühen der Ebene, sagt Ulrich Schreiber. Doch er und sein kleines, vielfach erprobtes Team haben noch einige programmatische Hügel zu bewältigen. Wie es im nächsten Jahr weitergehen wird, weiß er schon: mit kurdischer, lateinamerikanischer und New Yorker Literatur. Nach dem Festival ist vor dem Festival.

Jörg Plath

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