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Kultur: Epitaph

Die Deutsche Oper nimmt „Jeanne d’Arc“ wieder auf

Natürlich sieht man diesen Abend mit anderen Augen. Jetzt, da klar ist: Es wird keine neuen Inszenierungen mehr geben, die all das weiterführen. Die brennenden Leichen aus dem nepalesischen Heiligtum Pashupatinath. Die katholischen Mönche, die um eine imaginäre Mitte kreisen, als seien sie Pilger in Mekka. Die Kleingewachsenen, die Rollstuhlfahrer, Spastiker, Kinder, Ziegen und die heilige Kuh, die riesige Lunge, die über der Bühne schwebt, die Opulenz, das Ritualgeröll, die visuelle Überwältigung, die jeden Zuschauer zum Cutter seines eigenen Films macht: All das wirkt jetzt wie ein Epitaph. Denn Christoph Schlingensief ist gestorben – an Lungenkrebs.

Damit ist die Erinnerungslast, die „Jeanne d'Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ trägt, noch größer geworden. Denn eigentlich sollte diese 2008 als „Wiederentdeckung des Jahres“ ausgezeichnete Produktion, die die Deutsche Oper jetzt wieder aufgenommen hat, den Namen des Komponisten Walter Braunfels zurück ins Publikumsbewusstsein holen. Der ist da aber immer noch nicht wirklich angekommen. Zwar gibt es inzwischen eine CD-Aufnahme der Stockholmer Uraufführung von 2001 (erschienen bei Decca). Aber das Interesse an Braunfels’ spätromantischer, oft statischer Musik, die sich gegen funkelnde Strauss’sche Klang- und Tempowechsel genauso sperrt wie gegen die Avantgarde der Schönberg-Schule – es wäre vermutlich geringer, wäre der Regisseur dieses Abends nicht Christoph Schlingensief.

Das heißt, er ist es teilweise. Schlingensief war bei Probenbeginn so krank, dass ein Dreiergespann (Anna-Sophie Mahler, Sören Schumacher und Carl Hegemann) die Regie übernommen hat. Schlingensief konnte nur den ersten Teil skizzieren, der zweite ist visuell stärker zurückgenommen und ruhiger. Für die Musik gilt das nicht. Ulf Schirmer, der schon 2008 am Pult stand, dirigiert das Orchester der Deutschen Oper mit vollkommener Hingabe und nimmt der Partitur einen guten Teil ihrer Schwere. Braunfels’ Musik, sagt er, sei nur äußerlich von breiter Ruhe, innerlich aber von einer starken emotionalen Verdichtung geprägt. Die formidable Mary Mills hüpfte schon vor zwei Jahren im Nachthemd umher. Sie schafft es mit verströmend-jungmädchenhaftem Sopran, die Titelfigur zugleich als normalen Menschen, als Wahnsinnige und als Heilige glaubhaft zu machen. Bei den vielen männlichen Rollen stechen der grimmige Bass von Ante Jerkunica als Johannas Vater und Markus Brück als Ritter Baudricourt besonders heraus.

Und wenn es stimmt, dass in der Lücke, im Fehler, im Unfertigen das Heil des (Musik-)Theaters liegt, dann ist die riesige Lunge, die einmal in den Kulissen hängenbleibt und daraufhin teilweise in sich zusammenfällt, vielleicht das berührendste Bild des Abends. Udo Badelt

Wieder am 3. und 11. November. Am 6. November lädt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum Schlingensief-Erinnerungs-Abend „Gedenken 3000“.

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