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Kultur: Er ist der Größte, ein Clown

Das Album zum Konzert: „Intensive Care“ von Robbie Williams erhitzt die Gemüter – und polarisiert

Von Esther Kogelboom

Es ist viel geschrieben worden über Robbie Williams’ magentafarbene Anzugjacke, die er bei seinem jüngsten BerlinKonzert trug: „Der Mann verkauft sich an die Telekom! Die PR-Maschinerie des Grauens! Eine SMS zum Preis von 9,90 Euro treibt die jungen Leute in die Schuldenfalle! Er hat eine unschuldige Berlinerin verführt, die zufällig an der richtigen Hotelbar saß! Gemeine Helfershelfer kontrollieren die Schminktäschchen aufgeregter Journalistinnen! Cora Schumacher in der VIP-Lounge des Velodroms gesehen! Das ist der Untergang!“

Ja, so ist das vielleicht, wenn man aus der Distanz draufschaut. Ganz schöner Irrsinn! Und natürlich waren die Karten unvernünftig teuer, das sei noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt. Aber jetzt zur Musik, zu einem Konzert, bei dem der Künstler selbst geweint hat, weil es so schön war. Viel zu viele Leute wollen nicht daran erinnert werden, dass das Leben zwar kurz ist, aber ganz okay sein kann. Wann wird man eigentlich im normalen Leben von einem britischen Sexgott in magentafarbener Anzugjacke daran erinnert, dass man lebt? Bei Bolle an der Käsetheke jedenfalls nicht. Nein, es gibt keinen guten Grund zur Beschwerde über Robbie Williams oder dessen angeblich jugendgefährdendes Verhalten.

Die Show im Velodrom war deshalb großartig, weil es keine Zugabe gab. Endlich ein Konzert ohne das überflüssigste aller Entertainment-Rituale. Kein stupides We-want-more-Geklatsche – der Star zwang sein Publikum nicht in eine devote Winselhaltung. Er bestimmt, wann es reicht, tritt ab, und die Show ist vorbei. Das Leben gibt ja auch keine Zugabe.

Ausgerechnet Britney Spears bringt es auf den Punkt. In einem Homevideo ihres Mannes Kevin Federline, die blonden Haare zerzaust, das Gesicht zerknautscht, ruft sie euphorisch: „Ecstasy, Ecstasy, Ecstasy!“ Man weiß nicht, was zuvor geschah, aber: Darum geht’s. Das ist Pop, und es kann niemanden ernsthaft interessieren, ob Britney Spears die neuen Robbie-Williams-Songs komponiert hat oder Udo Jürgens. Wichtig ist nur, dass er sich auf „Place to Crash“ anhört wie Mick Jagger. Dass er Hymnen liebt, die er gnädig wenige Sekunden Hymnen sein lässt, bevor er ihnen das Genick bricht. Dass das Video zu „Trippin’“ wie so viele Videos zuvor zuverlässig Urängste beschwört und diese in der nächsten Einstellung elegant zu Klump haut. Weil er so launisch ist und so lakonisch, so depressiv und so euphorisch, wird Robbie Williams vermutlich für immer in Amerika erfolglos bleiben. Auf Robbie Williams kann man sich einfach nicht verlassen.

Es gibt Gerüchte, dass die Bee Gees „Saturday Night Fever“ neu verfilmen wollen. Robbie soll den Tony Manero spielen, John Travoltas Rolle! Er kann es nicht lassen! Zuerst Frank Sinatra („Swing When You’re Winning“), jetzt Travolta: Robbie Williams liebt es, sich als komplettes Jahrzehnt zu verkleiden. Im Moment sind die 70er Jahre dran, so klingt auch sein am Freitag erschienenes neues Album „Intensive Care“. So, als hätte dieser Mann wieder einmal großen Spaß am Uferlosen. Und wenn Cora Schumacher das auch liebt, muss über ihre historische Bedeutung vollkommen neu nachgedacht werden.

Am Anfang kannst du den Sieger erkennen, lautet ein wunderbarer Satz von Sergio Leone. Stammt aus „Es war einmal in Amerika“, dem verkappten Porträt einer Boygroup, die erst ihr Viertel und dann die Welt erobert. Als die Gruppe zerfällt, muss die Frage, wer von den vier jungen Burschen der Sieger ist, neu beantwortet werden. „Here I stand victorious/ The only man who made you come“, singt Robbie Williams, und da ist sein neues Album noch keine zwei Sekunden alt. Der einzige Mann, der uns zum Höhepunkt treibt, hat es eilig, uns daran zu erinnern.

Manche wollen es ja sofort erkannt haben. Schon als Robbie Williams bei Take That die Hüften schwang, habe er sich von den anderen Boys abgehoben. Nur er, Robbie Williams, sei sich für nichts zu schade gewesen: ein begnadeter Entertainer. Dass er davon zunächst nichts spüren ließ und eher durch Drogenexzesse und eine entwürdigende Anbiederung an die Rüpelrocker von Oasis auffiel, stellte den Optimismus der Fans auf eine harte Probe. Nicht, dass er nicht sofort eine Soloplatte hätte machen können. Das Problem war, dass er nicht wusste, wie seine eigene Musik klingen sollte.

Er weiß es bis heute nicht. Gewiss, Robbie Williams ist unter den Musikgiganten des Pop die kraftvollste Erscheinung. Aber ihm geht es wie Küblböck: Er hat enormes Talent, man weiß nur nicht, wofür. Um Hits wie „Angels“ oder „Feel“ hinzukriegen, bedurfte es der Mitwirkung eines berufeneren Kopfes, Guy Chambers, und auch für sein neues Album war er auf einen richtigen Songwriter angewiesen, was der bis dahin glücklose Stephen Duffy übernahm. Man muss nicht alles selber machen, doch zumindest sollten die Fäden bei einem zusammenlaufen, wenn man schon im Mittelpunkt steht. Die medienwirksame Präsentation von „Intensive Care“ in Berlin demonstrierte, dass Williams ein Managementgeschöpf geblieben ist.

Was nützt es, wenn Williams sich dessen bewusst ist? „There’s no dignity in death“, jault er in der Bekenntnisballade „Advertising Space“ und beklagt, dass noch der Tod eines Rockstars ausgeschlachtet wird. Oh, fiese Welt! Der Song klebt so stark an Elton Johns „Candle In The Wind“, dass man um die Kerzenindustrie fürchten muss. Balladensatt ist die Platte ohnehin. Selbstzweifel sind immer noch Williams’ beste Inspirationsquelle. In „The Trouble With Me“ bekennt er mal wieder, für die Liebe offenbar nicht bereit zu sein („I’ve got a head full of fuck“), mit flirrenden Gitarren und Streicher-Böen. In „King Of Bloke & Bird“, einer sentimentalen Folk-Nummer, gibt er sich dem Schmerz der Einsamkeit hin. Trotz der Reminiszenzen an den hymnischen Großpop der Achtziger ist „Intensive Care“ arm an hypnotischen Melodien. Und findet sich unter all den Synthesizerschwaden eine unvergessliche Formulierung? Doch nicht: „Es werden Museen gebaut, ich besuche sie nicht“! Ist das alles, was er uns an Leidenserfahrung voraushat?

Am Anfang kannst du den Sieger erkennen. „Ich hätte alles auf dich gesetzt“, sagt der treue Moe in „Es war einmal in Amerika“ zu Noodles, dem einstigen Kopf der Viererbande, als sie sich alt und grau wiedersehen. „Und du hättest alles verloren“, lautet die Antwort.

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