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Kultur: Er muss sich in die Luft sprengen

Ein wirklich nicht ironisch gemeinter Vorschlag zur Gestaltung der letzten Harald-Schmidt-Show heute Abend

Von Harald Martenstein

Seit ein paar Wochen wissen wir, wie der größte lebende Deutsche heißt. Er heißt Harald Schmidt. Gott ist tot!

Die letzte Person, die in Deutschland so unumstritten war, hieß Richard von Weizsäcker. Richard von Weizsäcker war als Bundespräsident ein bisschen konservativ und ein bisschen liberal und ein bisschen sozial. Er hat sich einmal in einer kontroversen Frage festgelegt – die berühmte Rede über den 8. Mai 1945 –, ansonsten ließ er die Dinge gerne im Ungefähren, wie sein Amt es verlangte, und bot wenig Angriffsfläche. Er machte dabei aber einen ausgezeichneten Gesamteindruck. Bei Harald Schmidt ist es in etwa genauso.

Wer gegen Harald Schmidt etwas sagt, und das waren in den letzten Wochen immerhin einige, der tut dies nicht selten mit dem Hinweis darauf, dass er der ständigen Huldigungen überdrüssig sei. Harald-Schmidt-Kritik ist fast ein Selbstzweck.

Eigentlich hört er ja heute nur mit einer Fernsehshow auf, deren Zuschauerzahl seit einiger Zeit im Sinken begriffen war und die hauptsächlich von den gebildeten Ständen gesehen wurde (siehe Medien, Seite 27). Schmidt war gescheitert mit dem Versuch, der Nachfolger von Thomas Gottschalk zu werden als Everybody’s Darling am Samstagabend um 20 Uhr 15. Er war eine zeitlang Dirty Harry, der Zotenking. Dann wurde er zum Gott der Feuilletons und der Besserverdienenden, die andern sehen bekanntlich Stefan Raab.

Über das Erfolgsgeheimnis von Schmidt ist viel nachgedacht worden. Das Ergebnis sieht, zusammengefasst, so aus: Schmidt ist nicht zu fassen. Er steht für die lückenlose Ironisierung von allem. Alles, was man tut, stellt man im gleichen Moment auch schon in Frage. Jeder Gedanke enthält auch sein Gegenteil. Die Verschmelzung von E-Kultur und U-Kultur zum Beispiel findet bei Schmidt im Nachspielen von klassischem Bildungsgut mithilfe von Playmo-Figuren statt – eine melancholische Ironie, in der die Sehnsucht nach einem Ende der Ironie aufscheint.

Schmidt macht im Fernsehen Antifernsehen, das gefällt allen Bildungsbürgern. Schmidt ignoriert, so sieht es jedenfalls aus, die Zwänge und Gesetze des Mediums, in dem er sich bewegt, und des Senders, der ihn bezahlt. Was er tut, sieht nach totaler Freiheit und selbstbestimmtem Leben aus. Der alte Angestelltentraum. Die große Utopie.

Je nachdem, von welcher Seite man hinschaut, wirkt Schmidt zynisch oder moralisch. Er ist bekennende Mediennutte (das Wort stammt von ihm) und bekennender Katholik. Er ist nicht gegen das Bestehende, aber er ist aber auch nicht wirklich dafür. Warum? Weil es keinen Unterschied mehr macht, ob man dafür oder dagegen ist, integriert wird letztlich alles, das weiß man inzwischen. In seiner Show tut er immer wieder das Unerwartete – das ist sein Rezept. In einer Medienwelt, in der Quotendruck, Kalkül, der Zwang zum Erreichen der größtmöglichen Kundenzahl jeden Schritt vorzugeben scheinen, wirkt radikaler Subjektivismus natürlich befreiend. Es zeigt sich, dass im Fernsehen ähnliche Gesetze herrschen wie im Kino. Filme, die besonders aufdringlich auf den größtmöglichen Erfolg zielen, scheitern relativ oft. Filme, die auf alle bewährten Rezepte pfeifen, können sehr erfolgreich sein.

Schmidt steht für das Lebensgefühl der Jahre kurz nach dem Ende der großen Ideologien. Die Jahre, in denen nur noch Posen vorhanden sind, die man für eine gewisse Zeit ausprobiert. Die Jahre, in denen es keine geistigen Richtungen gibt, nur Windrichtungen. Und Sachzwänge. Die extremste Form von Opposition heißt: sich gegen die Sachzwänge aufzulehnen. Zum Beispiel, kostbare Sendezeit zu verschwenden. Harald Schmidt hat sozusagen vor aller Augen Geld verbrannt. Insofern hatte die Harald-Schmidt-Show tatsächlich eine Art Haltung. Inhaltlich aber steht Schmidt für nichts.

In der letzten Phase waren die Zuschauer und die Mitarbeiter im Studio zur wichtigsten Pointe einer Sendung geworden, die auf Pointen eigentlich keinen Wert mehr legte. Schmidt ließ „Deutschland sucht den Superstar“ oder die Fernsehbilder der deutschen Wiedervereinigung im Studio nachspielen, er spiegelte die Medienwirklichkeit also zurück ins wahre Leben und machte daraus eine zweite Ebene der Medienwelt. Er inszenierte Inszenierungen, ähnlich wie der Regisseur Christoph Schlingensief es tut. Das hatte sogar etwas Aufklärerisches und trug als Idee eine Weile, aber jetzt hätte etwas Neues kommen müssen.

Schlingensief, Botho Strauß, Harald Schmidt – drei Versuche, das Pathos wiederzufinden, irgendwo hinter der Ironie. Drei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Künstler, ein eher linker, ein rechter und einer im Mainstream, die in verschiedenen Medien die gleichen Frage stellen. Wahrscheinlich ist es die Hauptfrage der Kunst von heute. Wie findet man einen Ausweg aus dem geschlossenen System einer Gesellschaft, die ihre eigene Negation sofort integriert? Der ersten Gesellschaftsform, gegen die keine Opposition mehr möglich ist?

Nie waren die Machtverhältnisse so stabil, und gleichzeitig der Zweifel an den Mächtigen so allgegenwärtig. In einem Theaterstück von Tom Peuckert, das vor einem Jahr in Freiburg uraufgeführt wurde, will ein Entertainer, für den unverkennbar Harald Schmidt Vorbild stand, aus seiner Show aussteigen. Er will der Hölle der Ironie entkommen. Deshalb sprengt er sich in die Luft, mit seinem Studiogast, dem wichtigsten 68er, Joschka Fischer. Live. Der Bühnen-Schmidt macht Ernst an denjenigen, die der Gesellschaft den Ernst ausgetrieben haben.

Die Schmidt-Show sah manchmal so aus, als suche sie nach etwas, nach Werten womöglich, das machte sie außerordentlich. Aber dieser Schein trog natürlich, es geht gar nicht anders. Der echte Schmidt steigt als echter Profi in dem Moment aus, in dem er gerade noch Gott ist, kurz vor dem Umkippen der Stimmung. Das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ konnte, als die Meldung vom Ende der Show kam, eine vorproduzierte Story über Schmidt nicht mehr rechtzeitig stoppen, in der die Krise seiner Sendung festgestellt wurde. Ja, nach acht Jahren Konsens war es Zeit geworden, Schmidt zu krititisieren. Es wird oft gesagt, dass jeder Star früher oder später vom Himmel auf die Erde geholt wird, und dass die Lust daran etwas besonders Deutsches sei. Das ist Unsinn. Es liegt nicht an Deutschland, es liegt am Kapitalismus. Der Kapitalismus ist immer dafür, etwas Unerwartetes, Einmaliges und Innovatives zu tun, zum Beispiel einen scheinbar unangefochtenen Star, sei es Gott oder sei es Harald Schmidt, in den Boden zu stampfen. Eine neue Show zu erfinden oder einen Star abzuschießen ist im Grunde das Gleiche. Es gibt immer eine Mutprämie für den, der etwas Interessantes als erster tut. Wer darüber jammert, hat nichts kapiert.

Schmidt hatte angefangen, seinen Ruhm in zahlreichen Werbespots zu versilbern. Das ist häufig ein Endzeit-Symptom. Wer auf dem absteigenden Ast ist, fängt mit Werbung an, vorher hat man Besseres zu tun. Es wird sonderbar sein, in ein paar Jahren die Harald-Schmidt-Show noch einmal zu sehen. Eine selbstreferentielle Sendung, interessant vor allem durch ihre geistige Haltung – wird man das überhaupt noch verstehen? Diese Sehnsucht nach Sinn, getarnt als Sinnlosigkeit? Schmidt wird wahrscheinlich so gnadenlos altern wie die beiden anderen großen Zeitgeistentertainer, Heinz Erhard für die 50er Jahre und Otto Waalkes für die 70er. Beide wirken heute exotisch. Während man erst vor kurzem bei der Geburtstagsgala wieder sehen konnte, wie verhältnismäßig frisch die Sketche von Loriot geblieben sind. Erhard, Waalkes und Schmidt sind – nicht ganz, aber zu großen Teilen - das Ergebnis einer gesellschaftlichen Stimmung, Loriots Humor dagegen ist hauptsächlich das Ergebnis von genauem Handwerk und perfektem Timing.

Was die Harald-Schmidt-Zeit bedeutet hat oder bedeutet, denn irgendwie wird es ja weitergehen mit ihm, das versteht man besten, wenn man sich einmal kurz das Gegenteil von Harald Schmidt vorstellt. Das Gegenteil von Harald Schmidt heißt: Für etwas zu sein. Sich zu etwas zu bekennen, ohne ein Schlupfloch der Ironie offen zu lassen. An etwas zu glauben. Etwas zu bekämpfen. Sich zu engagieren. Es ist all das, wofür die heute herrschende 68er Generation einmal stand und was sie den Leuten durch ihr Vorbild ausgetrieben hat. „Er redet unablässig über die Ereignisse unserer Zeit“, heißt es in der versehentlich erschienenen Schmidt-Kritik des SZ-Magazins, „hält sich aber konsequent aus allem raus. Das Einzige, für das Schmidt im Reformherbst 2003 eintritt, sind die Marken, für die er Reklame macht.“

Er muss sich in die Luft sprengen.

HaraldMartenstein

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